Das Netz von morgen

1. März 2012

Auf alteredqualia.com lässt sich ein Blick in die Zukunft des Internets werfen: Basierend auf HTML5 werden dort beispielsweise Moleküle animiert und visualisiert.

Das technische Gerüst des Internets bekommt einen neuen Anstrich: HTML5 wird das Netz verändern und den Webbrowser als „Killeranwendung“ stärken.

„Das Internet, gibt es diesen Blödsinn noch?“, wollte der charmant naive Homer Simpson vor einigen Jahren in der Trickfilmserie „The Simpsons“ wissen. Antwort erhielt er keine, seine Frage war auch mehr rhetorischer Art. Doch ob man es mag oder nicht: Ein Leben ohne Internet ist 2012 undenkbarer denn je. In immer kürzeren Zyklen verändert dieses Medium die Gewohnheiten, wie Informationen gesucht und wie sie ausgetauscht werden. Gemessen an seiner Schnelllebigkeit basiert das Internet aber auf geradezu verstaubten Standards.

Als Tim Berners-Lee 1992 die Hypertext Markup Language HTML präsentierte, schuf er damit eine zukunftsweisende Grundlage, wie sich Texte, Bilder oder Links im Internet strukturieren und darstellen lassen. Berners-Lee schwebte anfangs der neunziger Jahre ein textbasiertes Internet vor. Audioformate oder Videos drängten sich aus technischer Sicht weniger auf. Seither wurde der HTML-Standard wiederholt angepasst und optimiert. Mit CSS (Cascading Stylesheets) kam ein Standard dazu, der die grafischen Gestaltungsmöglichkeiten im Web zusammenfasst, mit XML (Extensible Markup Language) wurde der plattformunabhängige Datenaustausch geregelt.

Browserhersteller preschen vor

Was HTML und Co. alles leisten und wie sie sich weiterentwickeln sollen, entscheidet das 1994 gegründete World Wide Web Consortium W3C (www.w3c.org). Dieses aus Wissenschaftlern, Wirtschaftsvertretern und Politikern zusammengesetzte Gremium geriet 2007 in die Kritik, HTML zu praxisfremd und zu langsam voranzutreiben. Tatsächlich hatte man zuletzt 1999 eine neue Fassung, HTML 4.01, vorgelegt. Allen voran die Browserhersteller wollten eine forschere Gangart erzwingen und gründeten eine eigene Arbeitsgruppe, die bald darauf eine erste Version von HTML5 vorlegte. Auch wenn sich Microsoft, die Non-Profit-Organisation Mozilla, Google oder Apple mit ihren Browsern im Markt konkurrenzieren, verfolgen doch alle ein gleiches Ziel: den Webbrowser zu einem möglichst mächtigen Instrument zu machen.

Die Differenzen zwischen dem W3C und den Browserherstellern sind noch nicht ausgeräumt, beide Seiten arbeiten an ihren Versionen des neuen HTML5-Standards. Das W3C will 2014 die definitive Fassung von HTML5 verabschieden. Die Browserhersteller nutzen schon heute Teile von HTML5 in ihren neuesten Versionen und setzen auf „Work in progress“.

So oder so: Die absehbaren Änderungen, die HTML5 mit sich bringen wird, vereinfachen den Umgang mit multimedialen Inhalten, machen den Browser als Anwendung noch vielseitiger und verwischen die Grenze zwischen online und offline.

HTML5 – das Büro 3.0

Aktuell lebt das Internet stark von Bildern, Videos und Audiodateien. Um diese Dateiformate abzuspielen, benötigt man immer Zusatzsoftware, beispielsweise den Flash Player. Mit HTML5 werden solche Plug-ins hinfällig, da sämtliche Medienformate vom Browser erkannt werden. Davon werden unter anderem datenbasierte Visualisierungen profitieren, einen ersten Eindruck vermittelt die Website alteredqualia.com mit ihren 3D-Modellierungen von Molekülen (bit.ly/A9CtFf).

Bei mobilen Endgeräten dürfte HTML5 den Siegeszug der Apps bremsen. Denn obwohl heute ein wilder App-Boom grassiert – wer als Unternehmen etwas auf sich hält, muss eine App haben – so leisten doch die meisten dieser Minianwendungen nicht mehr, als die Funktion einer Website auf mobile Geräte anzupassen. Ist eine Website aber von vornherein in HTML5 programmiert und für verschiedene Auflösungen angepasst, kann sie ihre Stärken problemlos auf Tablets oder Smartphones ausspielen.

Interessant für Geschäftsanwendungen ist die Fähigkeit von HTML5, Dateien lokal auf einem Rechner zu speichern und auch offline verfügbar zu machen. Somit werden cloudbasierte Dienste unabhängiger und sind nicht auf eine stetige Internetverbindung angewiesen.

Erst 2022 umgesetzt?

Dateien bearbeiten und verwalten, dynamische 2D- oder 3D-Grafiken nutzen, multimediale Inhalte abspielen und natürlich kommunizieren: Mit HTML5 lässt sich all dies ohne Plug-ins im Webbrowser, dem Schweizer Sackmesser unter den Computeranwendungen, erledigen. Konkrete Einblicke in diese Möglichkeiten verschaffen www.html5demos.com oder www.html5rocks.com.

Zu den Aufgaben von HTML5 zählt, bestehende Standards zu 100% einzuhalten. Alte Internetauftritte werden nicht unbrauchbar. Da die führenden Browserhersteller HTML5 bereits nach Belieben in ihren neuesten Browserversionen nutzen, ist es theoretisch schon heute möglich, Websites gemäss diesem künftigen Standard umzusetzen. Solange aber die offizielle Deklaration des W3C fehlt, ist mit Inkompatibilitäten zu rechnen. Und selbst wenn das W3C HTML5 2014 verabschieden sollte, gehen Experten von einer mehrjährigen Phase der Implementierung aus. Laut W3C könnte die bis 2022 laufen. Das „Netz der Zukunft“ muss sich also noch gedulden.

3_12_HTML5.pdf (79.84 KB)