Die Freiheit im Netz überfordert viele

1. Oktober 2006

Wenn online sein alles ist: Internetsucht ist in der Schweiz zunehmend ein Thema.

Stundenlang chatten, surfen, online-gamen: Das Internet ist nicht nur Informationsquelle, sondern birgt auch ein Suchtrisiko in sich – gerade für Jugendliche. Im Kanton Zürich soll eine Kampagne der Internetsucht entgegenwirken.

Rund 50 000 Personen gelten in der Schweiz als internetsüchtig. Diese Zahl veröffentlichte das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich vor einigen Wochen. Doch Internetsucht ist keineswegs ein neues Thema, bereits Ende der neunziger Jahre entstanden erste Studien zum Suchtpotenzial des World Wide Web. Seien es virtuelle Spielwelten, Chats, Newsgroups oder Sex- und Pornografieseiten: Für Jugendliche und Erwachsene bringen diese Angebote erhebliches Suchtpotenzial mit sich.

Bei Mädchen stehen in erster Linie Chat-Programme wie beispielsweise der MSN-Messenger oder Community-Portale wie www.myspace.com hoch im Kurs. Chatten wird zur Vertiefung oder als Kompensation sozialer Kontakte genutzt. Demgegenüber fühlen sich Jungen eher von Online-Spielen angezogen. Beispielsweise von World of Warcraft, einem Online-Rollenspiel, das weltweit über sieben Millionen Menschen in seinen Bann zieht, Tendenz steigend. Spielexperten messen World of Warcraft (www.wow-europe.com/de) grosses Suchtpotenzial bei, da der einzelne Mitspieler sein Spieltempo nicht selber bestimmen kann. Das „Leben“ und die Geschichte in der virtuellen Welt von WoW gehen immer weiter – ob man will oder nicht. Und die Stärke der eigenen Spielfiguren hängt massgeblich von der Zeit ab, die man ins „Gamen“ investiert.

Ein weiteres Tummelfeld jugendlicher Neugier stellen die Webseiten mit pornographischen Inhalten dar. In der Anonymität des Internets ist es für Jugendliche ein Leichtes, sich Zugang zu diesen Angeboten zu verschaffen. In aller Regel gilt: Wer alleine surft, muss sich seine Schranken selber setzen. In ihrer Unerfahrenheit als User sind viele Jugendliche mit dieser Freiheit überfordert.

Massvoll – lustvoll

„Von den 50 000 internetsüchtigen Menschen in der Schweiz sind rund die Hälfte 18 Jahre alt oder jünger“, sagt Regula Keller von der Suchtpräventionsstelle des Bezirks Horgen. „Diese Entwicklung hat uns dazu veranlasst, die seit zwei Jahren laufende Kampagne ‚massvoll–lustvoll’ der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürichauf den Bereich der Internetsucht auszuweiten.“ Als erstes Produkt dieser Arbeit entstand auf www.suchtpraevention-zh.ch ein Selbsttest, der den Umgang mit dem Internet durchleuchtet. „Allgemein gesagt besteht ab 20 Stunden wöchentlicher Internetnutzung eine Suchtgefährdung“, erklärt Keller. Ebenso Ausschlag gebend seien die sozialen Kontakte im Alltag. „Wir stellen fest, dass gerade internetsüchtige Jungen oft kein oder nur ein geringes soziales Netz pflegen.“

Grundsätzlich obliege es den Eltern, das massvolle Surfen der Kinder und Jungendlichen zu kontrollieren. Da aber das Internet auch in der Schule mehr und mehr zur Anwendung komme, sei auch hier ein geübtes Surfverhalten gefragt. „Meistens interessieren sich Kinder ab dem elften, zwölften Lebensjahr verstärkt für die virtuelle Welt. Zu diesem Zeitpunkt ist eine Thematisierung im Unterricht sinnvoll, beispielsweise im Rahmen der Medienkunde“, sagt Regula Keller. „Dabei gilt es, nicht wegzuschauen, sondern mit den Kindern die verschiedenen Angebote wie Chats und Spielwelten zu untersuchen und zu vergleichen.“

Neuland für Schule und Prävention

Überrascht war Regula Keller über die Reaktionen anderer Suchtpräventionsstellen auf die Zürcher Kampagne gegen Internetsucht. „Wir erhielten viele Anfragen aus anderen Kantonen. Die Arbeit mit diesem Thema stellt in der Suchtprävention gewissermassen Neuland dar.“

Auch im Bildungsbereich scheint das Thema ein etwas stiefmütterliches Dasein zu fristen. Auf keinem der Schweizer Bildungsserver finden sich Informationen zur Internetsucht.

Hilfreiche Angebote im deutschsprachigen Raum stammen ausschliesslich aus den Nachbarländern. Aktuellste Studien zur Internetsucht fasst das Portal www.onlinesucht.de zusammen, zudem finden sich auf dieser Homepage eindrückliche Erfahrungsberichte Betroffener. Knapp, aber gründlich informiert die nicht nur für Lehrpersonen gedachte Übersicht auf lehrer-online.de (verkürzter Link: www.snipurl.com/w8xl). Weitere Selbsttests, die das eigene Suchtverhalten ergründen, findet man auf www.palverlag.de/Internetsucht.php und www.firstsurf.com/piuform.htm. Das Angebot der „e-Lisa academy“ (www.snipurl.com/w8ru) wartet mit neuesten Zahlen zur Internetnutzung Deutscher Jugendlicher auf und beschreibt die verschiedenen Erkennungsmerkmale von Internetsucht. 

10_06_Sucht.pdf (69.22 KB)