Drei Tage, die die Schweiz veränderten

1. Februar 2018

Während des Landesstreiks bietet der Bundesrat Truppen auf, hier auf dem Berner Waisenhausplatz (Quelle: Bundesarchiv).

100 Jahre Landesstreik: 2018 richtet sich der Blick auf eine historische Wegmarke des Bundesstaates.

2018 feieren zwei bedeutsame Ereignisse der Schweizer Geschichte ein Jubiläum. Einerseits trat die erste Bundesverfassung vor 170 Jahren in Kraft. Andererseits rüttelte vor 100 Jahren der Landesstreik an den Grundfesten des sozial- und wirtschaftspolitischen Gefüges. Doch wie kam es dazu, dass im November 1918 rund 250’000 Arbeiterinnen und Arbeiter in den offenen Streik gingen, um die Forderungen des “Oltener Aktionskomitees” zu unterstützen?

Die wirtschaftliche Krise war gegen Ende des Ersten Weltkriegs allenthalben sicht- und spürbar. Lebensmittelknappheit, starke Teuerung, tiefe Löhne: 700'000 der knapp vier Millionen Einwohnerinnen und Einwohner mussten ab Sommer 1918 direkte Hilfe der öffentlichen Hand beziehen. Die davon stark betroffene Arbeiterschicht in den Städten und Agglomerationen formierte sich und stellte Forderungen auf: die Einführung der 48-Stunden-Woche, Sozialversicherungen und bessere politische Mitbestimmung mittels Proporz-Wahlen. Der Generalstreik vom 12. bis 14. November vermochte diese Appelle nicht durchzusetzen. Wenig später aber lenkte das politische Establishment ein und nahm die Anliegen tel quel auf. Die Arbeitsbedingungen in der Textil- und Maschinenindustrie besserten sich, soziale Sicherheit und politische Mitsprache erhielten Aufwind. Bedenkt man, dass zeitgleich Kaiserreiche wie Österreich-Ungarn, Russland oder Deutschland in sich zerfielen, so verlief der Streik in der Schweiz glimpflich.

Premiere am 8. Februar
Zu aktuellen oder besonders nachgefragten Themen stellt das Bundesarchiv historische Informationen und Recherchetipps zusammen. So auch für den Landesstreik (www.goo.gl/m8ToQP). In Kapiteln geordnet werden Quellen und Bestände von Bundesinstitutionen offengelegt, in erster Linie Textdokumente. Aus Sicht der Gewerkschaften stellt der Landesstreik die Zäsur in der Arbeiterbewegung der Schweiz dar. Um dies zu untermauern, veröffentlicht der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB auf landesstreik.ch Basisinformationen und vernetzt Projekte zum Thema. Neben einem interaktiven Zeitstrahl führt die Website Medienberichte, Publikationen sowie Veranstaltungen zum Jubiläum nach.

Das Schweizer Fernsehen arbeitet die Ereignisse im November 1918 in einer 90-minütigen Doku-Fiktion auf, mit historischem Bildmaterial und nachgespielten Szenen. Zusätzlich erläutern Historikerinnen und Historiker wie Jakob Tanner, Brigitte Studer oder Sebastien Guex die Hintergründe. Im Mittelpunkt des Films “Generalstreik 1918” steht der sozialdemokratische Nationalrat Robert Grimm, der das Streikkomitee leitete. Ihm gegenüber stehen Bundespräsident Felix Calonder, der als Vermittler auftrat, sowie Oberstdivisionär Emil Sonderegger, der seinen Truppen in Zürich Handgranaten austeilen liess. Am 8. Februar läuft der Beitrag erstmalig im Programm, danach ist er auf srf.ch aufrufbar. Genauso empfehlenswert sind die Unterrichtsbeiträge von SRF mySchool zur Situation der Schweiz im Ersten Weltkrieg (Im Schatten des grossen Kriegs) oder zur Sicht der jungen Generation auf diese Ereignisse (Kleine Hände im grossen Krieg).

Grosses Theaterprojekt in Olten
Dreh- und Angelpunkt des Landesstreiks war das “Oltener Aktionskomitee”. Als Gremium der Arbeiterschaft trafen sich Vertreter aus Gewerkschaften und der Sozialdemokratische Partei wiederholt in Olten, um sich zu koordinieren. Zur Erinnerung daran führen über 200 Laiendarstellerinnen und -darsteller ab August eine Inszenierung zum Landesstreik auf. Grundlage bilden Zeitdokumente sowie Erkenntnisse der historischen Forschung. Gespielt wird in der alten Oltener SBB-Hauptwerkstätte. Für die Vorstellungen reisen Theatergruppen aus dem ganzen Land an und bringen eine Szene aus ihrer Region ein. Bislang beteiligen sich 15 Gruppen aus 13 Kantonen. Durch diese regionalen Inputs nimmt jeder Theaterabend einen anderen Verlauf (1918.ch). Eine weitere kulturelle Aufarbeitung entstand unter dem Projektnamen “Verschiebungen 18|18” im Kanton Solothurn. In kurzen Hörstücken rücken Erlebnisse der Solothurner Bevölkerung ins Zentrum. Die Hörstücke reisten im vergangenen Jahr auf Hörstationen durch den Kanton und sind nun online zugänglich (verschiebungen18-18.ch).

Nach Sonderausstellungen zum Ersten Weltkrieg und zur Verbindung der Schweiz und der Russischen Revolution greift das Landesmuseum auch das Jubiläum zum Landesstreik auf.  Ab dem 3. November findet dazu eine Sonderausstellung statt. Auch die Museen in Biel, Grenchen und Olten planen in der zweiten Jahreshälfte Ausstellungen.
 

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