Du lebst nur zweimal

1. April 2007

Das Online-Spiel Second Life zieht weltweit 4,5 Millionen Nutzer in seinen Bann.

In der Online-Community Second Life bauen User ihren Cyberspace. Bereits machen sich Bildungsexperten Gedanken, wie sich diese 3D-Simulation in der Lehre einsetzen lässt.

YouTube, MySpace, Second Life: In regelmässigen Abständen tritt das Internet einen neuen Community-Hype los. Seit vergangenem Herbst gilt die Aufmerksamkeit www.secondlife.com. 4,5 Millionen Nutzer sind zurzeit angemeldet und gestalten gemeinsam ihre dreidimensionale, virtuelle Welt. Mit einem Avatar, einer selber kreierten, detaillierten Spielfigur, erkunden sie die Umgebung von Second Life, gestalten diese nach ihren Wünschen und treten mit anderen Avataren in Kontakt. Der Fantasie sind in der 3D-Simluation kaum Grenzen gesetzt: Mittelalterlich wirkende Dörfer stehen neben futuristischen Partytempeln, dazwischen Gebäude, die an einen Hochschulcampus erinnern. Einen Einblick in das Universum von Second Life erhält, wer auf www.youtube.com "second life" als Suchbegriff eingibt. Zu sehen ist unter anderem ein Ausschnitt eines virtuellen U2-Konzerts.

Neben der eigenen Nabelschau, die Haupttriebfeder der meisten Second-Life-Nutzer ist, birgt dieses Rollenspiel eine ökonomische Komponente in sich: Mit "Linden-Dollars", benannt nach dem kalifornischen Softwareunternehmen und SL-Entwickler Linden Lab, lässt sich im "zweiten Leben" ausgiebig shoppen. Adidas, BMW, Mercedes Benz, IBM, Reebok, Sony und weitere Unternehmen sind in Second Life vertreten und bieten Produkte an, die Avataren-Herzen höher schlagen lassen. Die virtuelle Währung der Linden-Dollars ist an den amerikanischen Dollar angebunden, ein Umtausch ist möglich. Eine Deutsch-Chinesin, die vor zweieinhalb Jahren bei Second Life einstieg, hat seither mit dem Kauf und Verkauf von virtuellen Grundstücken eine Million US-Dollar verdient. Auch Medienkonzerne nutzen die Gunst der Stunde. So sind beispielsweise der Spiegel, die SonntagsZeitung oder das Gratisblatt "heute" mit einem Avatar in Second Life vertreten und nehmen aktiv an der Cyber-Community teil. Und auch die Politik steht nicht hintennach: Die französischen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal haben sich mit Wahlbüros im Cyberspace eingenistet. Diese ernst gemeinten Aktivitäten täuschen aber nicht darüber hinweg, dass Second Life gleichermassen schummrigen Angeboten Platz bietet. Ein geübter Nutzer muss nicht lange nach virtuellem Sex suchen; bereits sehen sich Juristen mit der Frage beschäftigt, ob virtueller Sex mit Minderjährigen strafbar sei. Eine ausführliche Einführung in Second Life ist auf www.slinside.com zu finden, das Blog www.2life.ch vermittelt News von Schweizern Second-Life-Nutzern.

Fehlender Jugendschutz

Zur Registrierung bei Second Life stehen ein kostenloser Basic-Zugang oder eine Premium-Mitgliedschaft offen. Um für Jugendliche ein altersgerechtes Angebot zu schaffen, baute Linden Lab 2005 „Teen Second Life“ auf, eine Cyberworld für Jugendliche unter 18 Jahren. Da jedoch der Basic-Zugang auf einen Altersnachweis verzichtet, ist die Teenausgabe von Second Life keineswegs Jugendlichen vorbehalten. Es genügt, beim Anmelden den gewünschten Jahrgang auszuwählen, um zum Teen zu werden – umgekehrt steht so Minderjährigen die Spielumgebung der Erwachsenen offen. Dieser mangelnde Jugendschutz wird heftig kritisiert, Entwickler Linden Lab macht aber keine Anstalten, die Anmeldemodalitäten ändern zu wollen.

Jugendliche sollten wissen, dass sie bei Second Life dieselben Faustregeln befolgen müssen wie beim Chatten. Die Homepage www.security4kids.ch fasst diese klipp und klar zusammen. Experten warnen zudem wie bei allen Online-Multiplayer-Games auch bei Second Life vor übermässigem Mitspielen, das oft mit einer Realitätsentfremdung einhergeht.

Second Life als Lernplattform

Dieser Unwägbarkeiten zum Trotz entdecken mehr und mehr Bildungseinrichtungen diese 3D-Welt als Online-Lernplattform. Über 50 Universitäten experimentieren mit Second Life und halten dort Online-Seminare ab, auch die ETH Zürich plant eine Präsenz.

Bernd Schmitz, Dozent an der Rheinischen Fachhochschule in Köln, hat bereits Vorlesungen in Second Life gehalten und berichtet auf seinem Webauftritt von den Erfahrungen (www.bernd-schmitz.de, Rubrik Blog, Second Life). Welche Möglichkeiten Second Life der Bildung eröffnet, fasst das Wiki der Firma SimTeach zusammen (verkürzter Link: www.snipurl.com/1ckl6). Die Open-Source Lernplattform Moodle hat einstweilen auf den Trend reagiert und mit „Sloodle“ eine Lernumgebung geschaffen, welche die Funktionalität von Second Life vollends adaptiert (www.sloodle.com).