Mit Schullizenzen im grossen Stil betrogen

1. September 2013

Microsoft Schweiz hat einen Mitarbeiter angezeigt: Er soll in die eigene Tasche gewirtschaftet haben.

Ein Verkaufsleiter von Microsoft Schweiz soll sich jahrelang am Verkauf von Schullizenzen bereichert haben. Wurden Schulen finanziell geprellt?

Anfang August deckte die NZZ auf, dass der für die Schulen zuständige Verkaufsleiter von Microsoft Schweiz im Spätherbst 2012 angeklagt wurde und seit Mai 2013 in Untersuchungshaft sitzt. Microsoft wirft dem Mitarbeiter ungetreue Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung vor. Eine zentrale Rolle scheint dabei die Firma Diraction, die den Softwareverkauf im Schweizer Bildungswesen bis vor kurzem dominierte, zu spielen. Bereits als Microsoft im Februar 2013 Diraction den Status eines akkreditierten Wiederverkäufers entzog, kursierten erste Gerüchte über Ungereimtheiten. Im April stellte Diraction die Geschäftstätigkeit ein. Die Ermittlungen der Zürcher Staatsanwaltschaft dürften sich darauf konzentrieren, dem beschuldigten Microsoft-Verkaufsleiter eine Beteiligung an Diraction nachzuweisen. Auch könnte dieser einzelne Bestellungen von Schulen zu grösseren Gesamtbestellungen zusammengefasst und den so entstandenen Rabatt selber eingestrichen haben. Fraglich ist, ob der Chef von Diraction in diese Machenschaften verwickelt war. Er wurde nach kurzer U-Haft im April wieder auf freien Fuss gesetzt.

Diraction war Marktführer im Vertrieb von Software für die Volksschule. educa.Shop, der Vertriebskanal für ICT-Produkte von educa.ch, wickelte Bestellungen von Microsoft-Produkten seit rund 10 Jahren über Diraction ab. Was 2003 mit kleinen Bestellvolumen begonnen hatte, wuchs über die Jahre zu einem umfassenden Geschäft, das Diraction immer grössere Rabatte bei Microsoft bescherte. Die Zusammenarbeit zwischen Diraction und der SFIB basierte auf einer gelebten Praxis ohne vertragliche Regelung. Eine Praxis, die Markus Willi, der aktuelle Co-Leiter der SFIB, nicht mehr fortsetzen will und kann. “Wir werden künftig mit mehreren Softwareverkäufern zusammenarbeiten und diese Kooperationen vertraglich regeln. Mittelfristig wird educa.ch die Vertriebsaktivitäten im Rahmen von educa.Shop einstellen und sich ausschliesslich auf Informations- und Beratungsdienstleistungen konzentrieren”, sagt Willi und stellt klar: “Nach unserem aktuellen Kenntnisstand haben die Schulen zu keinem Zeitpunkt zu viel bezahlt. Im Gegenteil, Diraction bot preislich immer attraktive Konditionen.”

Mircosoft Schweiz und die SFIB führen seit April Verhandlungen über die neuen Rahmenvereinbarungen für den Bezug von Miet- und Kauflizenzen. Diese sollen Ende August abgeschlossen sein. Für Schulen ist der Ausgang dieser Verhandlungen essenziell, es handelt sich um ein millionenschweres Geschäft: Zwischen 2500 bis 3000 Software-Lizenzverträge werden jährlich abgeschlossen oder erneuert. Da die Mehrheit der Schulen auf Mietlizenzen setzt, wirken sich die neuen Verträge direkt auf die Budgets in den Schulen aus.

In den Schulen und Kantonen wartet man deshalb gespannt den Ausgang der Verhandlungen ab. “Plant eine Schule, Miet- oder Kauflizenzen von Microsoft-Produkten zu beschaffen oder zu erneuern, so raten wir, zuzuwarten und verweisen auf die Empfehlungen der SFIB”, erklärt Beatrice Straub Haaf von der Fachstelle ICT und Medien des St.Galler Amts für Volksschule. Zudem sei es Usus, dass kleine Schulen ihre Software bei lokalen Händlern beziehen würden und dabei auf Kauflizenzen setzten. Klar aber ist für Beatrice Straub Haaf: "Primarschulen haben von den extrem günstigen Mietlizenzen des Partners-in-Learning-Vertrags profitiert, für diese werden mit den neuen Rahmenvereinbarungen wohl Mehrkosten entstehen."

Auch Kurt Reber, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Schulinformatik der PHBern, empfiehlt, die Verhandlungen abzuwarten. “Schulen, welche mit Microsoft-Produkten arbeiten, wissen erst dann, welche neuen Rabatte für Miet- und Kaufllizenzen gelten. Im Sinne einer unabhängigen ICT-Infrastruktur liegt es aber auch im Ermessen der Schulen, Alternativen zu proprietären Systemen zu prüfen und beispielsweise cloudbasierte Anwendungen zu nutzen.”

Von den aktuellen Ereignissen rund um die Microsoft-Lizenzen nicht betroffen ist der Kanton Genf: Das Genfer Bildungsdepartement migriert derzeit Tausende Schularbeitsplätze von Windows auf das Linux-Betriebssystem Ubuntu und setzt anstelle von Microsoft Office auf das kostenlose LibreOffice.

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