Aus einer Videosequenz des "Performance-Simulators": Nadjas Prüfungsnote führt zu einer Konfliktsituation.
Fachkompetenz, Sozialkompetenz, Gesprächskompetenz, Führungskompetenz: Die Liste an Kompetenzen, die eine Lehrperson mitbringen muss, ist lang und liesse sich beinahe beliebig erweitern. Einen neues Weiterbildungsangebot fokussiert nun auf das intuitive Handeln. Was leistet der “Performance Simulator”?
Nadia erhält von ihrer Lehrerin eine Prüfung zurück und ist mit der Note überhaupt nicht zufrieden. Als Reaktion rutscht ihr die Bemerkung “Blöde Kuh” über die Lippen, worauf die Lehrerin Nadia für ihre verbale Entgleisung und die schlechte Prüfungsleistung vor der Klasse massregelt. Die Stimmung im Klassenzimmer ist angespannt, an konstruktives Lernen ist vorerst nicht zu denken.
Diese Situation ist in einer Filmsequenz festgehalten und gehört zum Weiterbildungsprogramm “Performance Simluator”. Beim Betrachten der Sequenz tauchen unweigerlich Fragen auf: Hat die Lehrerin richtig reagiert? Was hätte ich gemacht? Habe ich in meinem Unterricht schon eine ähnliche Situation erlebt?
Der Performance Simualtor bietet insgesamt 40 solcher Videosequenzen aus dem Lehreralltag. Sie zeigen Interaktionen zwischen Lehrern und Schülern, auch Situationen mit Eltern und Kollegen werden aufgegriffen. Entstanden ist das Programm 2012 im Rahmen eines Forschungsprojekts an einer Schule (Können Sie mit den Namen der Schule sagen?) in Stuttgart. Die Einführung eines neuen Lernkonzepts und der Wechsel hin zu einer Gemeinschaftsschule verlangte von den Lehrpersonen eine veränderte Haltung und neue Führungskompetenzen. Hier setzt der Performance Simulator an. Die Idee dazu stammt von Wilfried Schley, emeritierter Professor für Sonderpädagogik und Diplompsychologe, sowie Helga Breuninger, Psychologin und Ökonomin, die das Projekt mit ihrer gleichnamigen Stiftung trägt.
Was heisst professionelles Handeln?
“Die Ausgangslage in unseren Videosequenzen ist immer eine Ambivalenz. Eine Lehrperson muss aus dem Moment heraus entscheiden”, erklärt Wilfried Schley. "Dadurch wollen wir die Wahrnehmung der eigenen Rolle in einer solchen Alltagssituation schärfen und das professionelle Handeln einer Lehrperson analysieren.” Und professionelles Handeln heisst im Unterrichtskontext nicht selten schnelles, intuitives Reagieren. Denn wie ein Schiedsrichter auf dem Feld nicht mit einem Pfiff zuwarten und fünf Minuten überlegen kann, ist auch eine Lehrperson oft aus der Situation heraus zu einer unmittelbaren Handlung verpflichtet.
Die 40 Videosequenzen orientieren sich an vier Kompetenzen: Aus der situativen Souveränität heraus handeln; eine produktive, spannungsvolle Atmosphäre schaffen; Konflikte und Schwierigkeiten lösbar machen; Muster reflektieren und Unterschiede wertschätzen. Zu jeder der 40 Sequenzen liegt ein Videokommentar vor. Schulen, die mit dem Performance Simulator arbeiten, erhalten darüber hinaus Unterlagen zu den vier Kompetenzen und eine Gebrauchsanleitung.
Lernen am Modell
Die Wahl des Mediums Film war für Schley aus zwei Gründen naheliegend: “Unser Angebot ist zeitlich flexibel und mobil nutzbar. So kann sich beispielsweise eine Gruppe von Lehrpersonen gemäss ihrem gewünschten Rhythmus mit einer Videosequenz beschäftigen. Zudem kommt das modellhafte Lernen mithilfe von Filmausschnitten sehr deutlich zum Tragen. Und das wirkt beim Erlernen und Festigen sozialer Prozesse am stärksten.” Neu ist diese Erkenntnis nicht: So genannte Performance Simulatoren kommen in der Wirtschaft regelmässig bei komplexen Entscheidungsprozessen zum Einsatz. Der Begriff der Simulation bezieht sich auf die Neurowissenschaften und das Konzept der Spiegelneuronen. Wer die Handlung eines anderen Menschen beobachtet, erlebt diese Erfahrung als inneres Simulationsprogramm. Ausgehend von dieser Grundidee trainieren Performance Simulatoren mit realitätsbezogenen Szenen gleichermassen Haltungen, Verhalten und Wissen. Ein Schlüsselerlebnis bildete für Wilfried Schley die Auseinandersetzung mit dem Modell der Themenzentrierten Interaktion (TZI) von Ruth Cohn. “Cohns Aussage, Intuition könne man üben, hat mich lange beschäftigt. Darauf bauen wir mit unserer Idee auf.”
Doch zurück zu Nadia und ihrem Prüfungsfrust: War die Reaktion der Lehrerin angebracht? Laut Wilfried Schley hat die Lehrerin das Verhalten der Schülerin ausschliesslich als Angriff auf ihre Person aufgefasst und es damit verpasst, ihr zu helfen, sich selber als Verursacherin ihrer Enttäuschung zu erkennen. “Wer in der emotionalen Befindlichkeit stecken bleibt, ist unfähig für den pädagogischen Kontakt”, bilanziert Wilfried Schley.
Arbeiten in Baden-Württemberg bereits mehrere Schulen mit dem Performacne Simulator, ist das Angebot in Deutschschweiz erst am Anlaufen. Mit einer Präsentation im September am Zuger Schulleitungssysmposium und der Gründung eines Bildungsnetzwerks im vergangenen Sommer in Zürich wurde das Interesse geweckt: Die PH Zürich und die PH Thurgau wie auch die Bildungsdirektion des Kantons Basel-Stadt erwägen, das Programm künftig einzusetzen. Darüber hinaus liegen auch bereits Wünsche nach weiteren Videos vor. “Das Thema Inklusion beschäfitigt aktuell viele Schulen”, so Wilfried Schley. “Wir planen, zu diesem Thema Videos zu machen.”
Weiter im Netz
www.performance-simulator.com/hbs/
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