Künstliche Intelligenz will den Graben zwischen Mensch und Maschine zuschütten. Das könnte auch bei Lernprozessen nützlich werden.
Bisher galt: Was sich berechnen lässt, macht der Computer zuverlässiger und schneller als der Mensch. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Selbstlernende Rechensysteme verhalten sich immer ausgeklügelter und bringen sich neues Wissen bei.
Beim Schachspiel gibt es schon lange kein Entrinnen mehr. Im Wettstreit gegen die Maschine ist für jeden Gelegenheitsspieler Endstation. Selbst der damalige Weltmeister Garry Kasparow machte 1997 grosse Augen, als ihm der IBM-Computer Deep Blue den Meister zeigte. Im vergangenen Winter, 20 Jahre nach dem ersten Triumph der Maschine gegen den Menschen, hat der Supercomputer AlphaZero ein neues Kapitel im Beherrschen von Strategiespielen aufgeschlagen. Er deklassierte das mit Abstand beste Schachprogramm Stockfish in bemerkenswerter Manier. AlphaZero brachte sich das Schachspielen nämlich autodidaktisch bei, ohne Daten bisheriger Partien. Nur mit den Regeln ausgestattet und durch ständiges Spielen gegen sich selbst hievte sich der Algorithmus innert vier Stunden auf ein neues, bislang unerreichtes Niveau. Ganz ähnlich präsentierten sich die Resultate bei den asiatischen Strategiespielen Shogi und Go, wo AlphaZero ebenfalls nach wenigen Stunden Training die besten Programme schlug. Dass sich AlphaZero so schnell verbessert, liegt an seinem selbstlernenden Algorithmus und seiner immensen Rechenleistung. Die Rechnerarchitektur des Computers entspricht einem künstlichen neuronalen Netz und erinnert an das menschliche Gehirn.
Entwickelt hat AlphaZero die Google-Tochter DeepMind, ein auf künstliche Intelligenz spezialisiertes Unternehmen mit Sitz in London und Paris. In Forscherkreisen haben die Ergebnisse von AlphaZero grosse Wellen geworfen. Der selbstlernende Algorithmus bleibt zwar unter Verschluss, Experten trauen ihm aber weitere Durchbrüche zu. Die DeepMind-Fachleute wollen die gewonnenen Erkenntnisse in einem nächsten Schritt in den Bereichen Gesundheit und Energieversorgung erproben.
Das Schulbuch, das mehr weiss
Was künstliche Intelligenz tatsächlich ausmacht, treibt die Forschung seit Jahrzehnten um. Eine Methode, diese Frage zu beantworten, ist der 1950 vom britischen Mathematiker Alan Turing entworfene Turing-Test.: Dabei kommuniziert ein Mensch über längere Zeit gleichzeitig mit einem anderen Menschen und einer Maschine, ohne diese zu sehen oder zu hören, etwa über ein Chat-Programm. Mensch und Maschine versuchen die Testperson davon zu überzeugen, dass sie Menschen sind. Kann sich die Testperson nicht klar festlegen, welcher der Gesprächspartner der Mensch und welcher die Maschine ist, hat die Maschine den Test bestanden und darf als intelligent gelten. Gelungen ist dies bis anhin keinem Computer.
Auch das immer wieder zitierte Zukunftsszenario, Computer könnten dereinst Lehrerinnen und Lehrer ersetzen, erscheint derzeit komplett unrealistisch: Mangelndes Teamplay, eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit, fehlende Empathie; das sind nur einige der klaren Defizite, die gegen die Maschine sprechen. Wo Computer und künstliche Intelligenz den Lernprozess bereits heute unterstützen, ist beim Anpassen des Lerninhalts. Je nach Lernverhalten und -erfolg kann ein Lernmanagmentsystem spezifische Aufgaben und Inhalte zusammenstellen und den Lernweg individualisieren. Geht es nach Wissenschaftlern des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern, soll künftig jedes digitale Schulbuch genau dies ermöglichen. Im Projekt "Hypermind" arbeiten Forscherinnen und Forscher am intelligenten Schulbuch. Die Technik dahinter ist vergleichbar einfach: Auf Tablets oder Bildschirmen wird der Inhalt des Buchs angezeigt. Unter dem Display ist ein “Eye-Tracker” angebracht. Dieses System erfasst die Blickbewegungen des Lesers und erkennt, an welcher Stelle man länger verweilt oder etwas wiederholt liest.
In einem nächsten Schritt wollen die Forscher diese Daten analysieren und daraus Rückschlüsse auf das Lernverhalten und den Lernfortschritt ziehen. Dabei kommen Algorithmen der künstlichen Intelligenz zum Einsatz. Diese erkennen frühzeitig, ob eine Schülerin oder ein Schüler Unterstützung benötigt. Zugleich lässt sich damit herausfinden, wo besondere Interessen liegen. Blickt jemand öfter auf ein Wort oder Bild, kann das System Informationen dazu anzeigen. Ein Prototyp des intelligenten Schulbuchs war 2017 an CEBIT, der Messe für Informationstechnik, zu sehen. Im laufenden Jahr soll eine überarbeitete Version von Hypermind vorliegen.