Studien zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen haben Konjunktur. Sie widerlegen etliche von Erwachsenen gepflegte Vorurteile.
“Smombie”: Diese Wortschöpfung hat der Langenscheidt-Verlag hat zum Jugendwort des Jahres 2015 gekürt. Wer dauernd auf sein Smartphone starrt und seine Umwelt nicht mehr wahrnimmt, ist ein Smartphone-Zombie, kurz Smombie. Diese Umschreibung beziehen die Jugendlichen nicht nur auf sich selbst, vielmehr halten sie damit einem gesellschaftlichen Phänomen den Spiegel vor. Im Englischen hat sich dafür der Begriff der “head-down generation” eingebürgert. Den Kopf nach unten geneigt, das Kinn an der Brust, in der Hand das geliebte Gerät, abgewandt vom allzu realen Alltag. Doch erinnern wir uns: Auch wer ein Buch liest, hält seinen Kopf nach unten geneigt und verhält sich zuweilen weltabgewandt. Und mit der blossen Diagnose der “Smombitis” ist noch keine Antwort auf die Frage gefunden, was Jugendliche antreibt, scheinbar pausenlos zu surfen, chatten oder gamen.
Sport und Freunde gehen vor
Aktuelle Befunde auf diese Frage hat die “JIM-Studie 2015” Ende November vorgelegt. JIM steht für Jugend, Information und (Multi-)Media. Die Studie holt seit 1998 jährlich bei rund 1’000 12- bis 19-Jährigen in Deutschland telefonisch Rückmeldungen ein, welche Medien sie nutzen und wie sie sich informieren. 2015 gab praktisch jeder Befragte an, ein eigenes Handy zu besitzen (98 %), bei 92 % handelt es sich um ein Smartphone. Auch im Hinblick auf die tägliche Nutzung ist das Mobiltelefon unangefochten. Neun von zehn Jugendlichen nutzen es täglich. Aus thematischer Sicht dominieren zwei Bereiche, über die Jugendliche schnell Bescheid wissen wollen und auch mit dem Smartphone Antworten suchen: Die Lösung persönlicher Probleme und das aktuelle Weltgeschehen. Ebenfalls wichtig sind Musik- und Popkultur sowie Fragen zur Ausbildung und zur Berufswahl. Und gut die Hälfte der Jugendlichen zeigt bei Politik und Sport ein wachsendes Informationsbedürfnis. Dabei ist interessant, dass dem Internet (und dem Smartphone) ausschliesslich bei “Soft News” wie Musik oder Mode eine wichtige Rolle zukommt. Geht es um das Zeitgeschehen, um Sport und um Politik, so hat das Fernsehen als relevanter Kanal die Nase vorn. Und Tageszeitungen spielen ihre spezifische Stärke in der Lokalberichterstattung aus – auch für Jugendliche.
Was die JIM-Studie zudem klar bestätigt: Die nonmedialen Freizeitaktivitäten überwiegen. Sie überwiegen punkto Interesse und punkto Häufigkeit. Sport machen und sich verabreden führen die Hitparade der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen an. Und jeder zweite Befragte findet das Lesen von Büchern wichtig, 36 % lesen in ihrer Freizeit regelmässig. Zum Vergleich: 1998, in der ersten JIM-Studie, waren es 38 %.
Da die JIM-Studie als Langzeitprojekt angelegt ist, bietet sie eine breite Datengrundlage und lässt Rückschlüsse auf allgemeine Entwicklungen zu. Herausgeber ist der medienpädagogische Forschungsverbund Südwest der Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Ihr Pendant für die Altersgruppe zwischen 6 und 12 ist die KIM-Studie, diese erscheint zweijährlich.
Schweiz bestätigt Bild
Studien zur Mediennutzung gibt es viele. Relevante und über mehrere Jahre vergleichbare Daten liefern wenige. Was für Deutschland die KIM- und JIM-Studien leisten, wollen in der Schweiz JAMES und MIKE abdecken, zwei Studien der ZHAW in Zusammenarbeit mit der Swisscom und der Jacobs Foundation. (JAMES steht für Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz; MIKE für Medien, Interaktion, Kinder, Eltern.) Die erste MIKE-Studie ist im vergangenen September erschienen. Sie untersuchte den medialen Alltag von 1000 Kindern im Alter zwischen 6 und 13 Jahren und von 650 Eltern. Dabei stellte sich heraus, dass Spielen und Sport bei Kindern trotz Smartphones und Tablets ungebrochen populär bleiben. Und wenn die Kinder Medien nutzen, so heisst das in erster Linie Musik hören, fernsehen und Bücher lesen. Was die Freizeit aller Kinder am häufigsten beansprucht: Hausaufgaben. Vier von fünf Kindern sind jeden Werktag damit beschäftigt. Das in den Medien immer wieder einseitig inszenierte Bild der “Generation Touchscreen” ist anhand solcher Zahlen schwer zu belegen.
Übrigens: Zu den weiteren Nominationen des Jugendworts 2015 gehörten "Dia Bolo" (ein hässliches Selfie), "Maulpesto" (übler Mundgeruch) und der “Discopumper” (wer nur Fitness betreibt, um im Klub gut auszusehen). Und schon wirkt der “Smombie” gar nicht mal so unsympathisch.