Ob Schülerinnen und Schüler von ihrer Lehrperson via Instant Messaging Informationen erhalten sollen oder nicht, ist in der Schweiz nicht einheitlich geregelt.
Um WhatsApp und Klassenchats ist im Juni eine mediale Debatte entflammt. Was bedeutet das für die zahlreichen Klassenchats, die Lehrpersonen informell betreiben?
„Chamer öpper d’Husi erkläre?“, „Hemmer morn Schwimme?“, „Bitte am Mittwoch Regenkleider mitnehmen.“ - Solche und ähnliche Nachrichten tummeln sich zuhauf in Klassenchats, von Kreuzlingen bis Kandersteg, von Zernez bis Laufenburg. In den allermeisten Oberstufenklassen gehört der Chat zum Alltag wie das Etui auf dem Pult. Wenn sich die Lehrperson ebenfalls einklinkt, kann der Einsatz im Unterricht mehr oder weniger weit gehen. Informieren über Stundenplanänderungen, bereitstellen von Dokumenten oder weiterleiten von freiwilligem Lernstoff: Diese Beispiele lassen sich beliebig erweitern.
Roman Bucher, Oberstufenlehrer und Mitglied der Schulleitung in Wohlen, hat Erfahrung mit Klassenchats: “Ich lege gemeinsam mit den Klassen die Regeln für den Chat fest. Wir tauschen vor allem kurzfristige Infos aus. Als informeller Kanal hat sich das bewährt.” WhatsApp wurde in Wohlen bisher unverbindlich verwendet, abhängig davon, ob eine Lehrperson darauf setzte oder nicht. Nach der kontroversen Berichterstattung Anfang Juni zu den rechtlichen Fragen des Mindestalters bei WhatsApp hat das Aargauer Departement für Bildung, Kultur und Sport angekündigt, eine Weisung zu Instant Messaging zu erlassen. “Diese warten wir nun ab, um uns als Schule einheitlich darauf auszurichten”, erklärt Roman Bucher.
“Instant Messaging gehört zur Lebenswelt”
Die Zürcher Anwaltskanzlei Steiger Legal ist spezialisiert auf Recht im digitalen Raum. Rechtsanwalt Martin Steiger konnte mit der medialen Polemik um WhatsApp-Klassenchats im vergangenen Juni wenig anfangen. „Mit der Erhöhung des Mindestalters von 13 auf 16 Jahre hat sich nichts Entscheidendes verändert. Bei der Alterslimite zu schummeln, ist gemäss Schweizer Recht nicht strafbar”, sagt Martin Steiger. Nutzerinnen und Nutzer unter 16 Jahren würden zwar die Nutzungsbedingungen von WhatsApp verletzen, das habe aber kaum Folgen. So sei bereits das Mindestalter von 13 Jahren von WhatsApp oder anderen Online-Diensten nie konsequent durchgesetzt worden.
Dass WhatsApp die Alterslimite angepasst hat, hängt mit der neuen europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zusammen. Von dieser profitieren auch die sechs Millionen Nutzerinnen und -Nutzer des Dienstes in der Schweiz. Dies, weil WhatsApp für die Geschäftstätigkeit im gesamten europäischen Raum in Irland domiziliert ist. Mit der DSGVO hat sich die EU erstmals einen einheitlichen Datenschutz verschrieben und dabei den Schutz der personenbezogenen Daten betont. Sie kann grosse Player bei Zuwiderhandlung stark sanktionieren und Bussen aussprechen, die bis zu 20 Prozent des Jahresumsatzes eines Unternehmens umfassen. In der Schweiz steht das Datenschutzgesetz derzeit in Revision, der aktuelle Entwurf zeigt sich weniger scharf als die DSGVO. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hat sich vorerst darauf geeignet, das Gesetz gestaffelt zu beraten.
Wenn Schulen nun vor dem Hintergrund der laufenden Debatte WhatsApp verbieten, hält das Martin Steiger für realitätsfremd. “Instant Messaging ist die Kommunikationsform der Jugend. Ob WhatsApp, Instagram oder Snapchat, diese Plattformen sind fester Bestandteil ihrer Lebenswelt. Die Schule sollte das aufgreifen und dabei auch Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit thematisieren”, sagt Steiger. Er weist zudem darauf hin, dass WhatsApp 2016 als erster globaler Nachrichtendienst die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung salonfähig gemacht habe, eine wesentliche Errungenschaft für den Datenschutz. Bei diesem Verfahren können weder der Anbieter noch Dritte entschlüsseln, was sich die Nutzerinnen und Nutzer schreiben, schicken oder sagen. Die dafür nötigen Schlüssel befinden sich nur auf deren Endgeräten.
Was man bei WhatsApp wissen muss: Eigentümer ist seit 2014 Facebook. Wer WhatsApp nutzt, willigt ein, dass Telefonnummern von Kontakten im eigenen Adressbuch von Facebook einsehbar sind. Im vergangenen Mai hat Facebook zudem angekündigt, WhatsApp künftig für Werbung zu nutzen. Wie sich das auf die Beliebtheit des Instant-Messaging-Diensts auswirkt, wird sich zeigen. Lehrpersonen, die sich bezüglich der WhatsApp-Nutzung unsicher sind, rät Martin Steiger, sich bei der Schulleitung abzusichern. “Lehrpersonen sind Arbeitnehmer. Es liegt an den Schulgemeinden und den Kantonen als Arbeitgeber, hier Richtlinien zu definieren.”
Unterschiedliche Empfehlungen der Kantone
Die kantonalen Datenschutzbeauftragten haben auf das erhöhte Mindestalter von WhatsApp unterschiedlich reagiert. Mehrere Kantone haben ihre Empfehlungen und Richtlinien angepasst oder bestätigt und stufen WhatsApp als problematisch ein. Der Kanton Schaffhausen erklärt in seiner Stellungnahme, dass es aus pädagogischer Sicht “nicht empfehlenswert” sei, sich über die AGBs eines Unternehmens hinwegzusetzen. Damit betreibe eine Schule keine glaubwürdige Medienbildung. Auch die Kantone Baselland, Luzern und Uri rufen Schulen zum WhatsApp-Verzicht auf. In der Urner Handreichung regt das Amt für Volksschulen an, Fragen des Datenschutzes ab der 5. Primar im Fach “Medien und Informatik” zu diskutieren. Urner Schulen sollen zudem für die Nutzung von internetbasierten Plattformen interne Richtlinien erarbeiten.
Für den Datenschützer des Kantons Zürich war WhatsApp schon vor der erhöhten Alterslimite ein No-Go. WhatsApp sei “keine datenschutzkonforme Lösung und die Nutzung von WhatsApp durch Lehrpersonen und andere schulische Mitarbeitenden nicht rechtmässig”, hält der Zürcher Datenschutzbeauftragte Bruno Baeriswyl im Datenschutzlexikon Volksschule fest. In den Kantonen Aargau und Bern laufen Klärungen zur Nutzung. Auch Basel-Stadt wird sich zu WhatsApp äussern, lässt den Dienst aber vorderhand zu, sofern die Schule die Eltern um ihre Einwilligung gebeten und über die datenschutzrechtlichen Probleme informiert hat.
Weniger problematisch beurteilt Christian Flueckiger, der Datenschutzbeauftragte der Kantone Jura und Neuenburg, die Lage. Zwar empfiehlt auch er WhatsApp nicht, erlaubt die Verwendung aber explizit, wenn die Klasse als Gruppe den Dienst bereits nutzt.
LCH lehnt WhatsApp ab
Der LCH hat schon vor drei Jahren zusammen mit Lehrerdachverbänden aus Deutschland und Österreich einen gemeinsamen Leitfaden zur Datensicherheit erarbeitet. Darin rät der LCH davon ab, dass eine Schule Kommunikation via Facebook oder WhatsApp betreibt. "Es ist nicht möglich, alle Kontaktpersonen in einem Adressbuch zu befragen, ob sie damit einverstanden sind, dass ihre persönlichen Daten an Facebook weitergegeben werden, wenn man WhatsApp nutzt", sagt Beat W. Zemp, Zentralpräsident LCH. Man könne nicht den Datenschutz und die Beachtung von Alterslimiten gemäss neuem Lehrplan Medien und Informatik den Schülerinnen und Schülern als wichtige Kompetenzen vermitteln und diese dann bei der Kommunikation mit den Eltern oder der Klasse selber missachten. Daher fordert der LCH von den Schulen datenschutzkonforme Regeln und Messenger-Dienste für die berufliche Kommunikation. "Es gibt heute bessere Alternativen als ein Chatprogramm, das für private Zwecke durchaus seine Berechtigung haben mag", erklärt Zemp.