An Plakatwänden dokumentierten Kongressteilnehmerinnen und Kongressteilnehmer hauswirtschaftliche Projekte ihrer Herkunftsländer.
Neue Familienstrukturen, demographischer Wandel, schnelllebige Ernährungsgewohnheiten: Diese aktuellen Themen stellte der Internationale Verband für Hauswirtschaft ins Zentrum seines Jubiläumskongresses.
„Reflecting the past – creating the future“, dieser Slogan durchwirkte Ende Juli das Kunst- und Kongresszentrum Luzern. Der Internationale Verband der Hauswirtschaft (IVHW) feierte sein 100-jähriges Bestehen und nutzte seinen 21. Weltkongress für einen Blick in Vergangenheit und Zukunft. 1100 Delegierte aus 56 Ländern fanden den Weg in die Zentralschweiz, auf dem Programm standen über 60 Podien und Präsentationen. Passend zum mondänen Flair des KKL ergab sich ein internationales, ja globales Stimmungsbild: Delegierte aus Japan, Nigeria, Schweden, Kanada und Deutschland diskutierten beim gemeinsamen Kaffee; Gruppen aus Korea, Irland oder Guyana stellten an Plakatwänden im Foyer hauswirtschaftliche Projekte ihrer Herkunftsländer vor.
Auf dem Weg zur Lebenswissenschaft
Hauswirtschaft ist stark von gesellschaftlichen Veränderungen betroffen. Konsumgewohnheiten, welche weit über regionale und saisonale Erzeugnisse hinausführen; Arbeits- und Familienstrukturen, die von globalökonomischen Faktoren geprägt werden: Diesen Aspekten widmete sich der Schweizer Ethiker und Theologe Thomas Gröbly in seinem Eröffnungsreferat vor den Delegierten. „Globalisierung lässt sich nicht verneinen, aber sie sollte die Ausnahme unseres Handelns bleiben“, sagte Gröbly. Er strich heraus, dass sich Konsument im globalen Markt den Konsequenzen seiner Einkäufe zu wenig bewusst sei. „Wir sind Teil einer Gesellschaft, die im Job hoch qualifiziert ist, im Konsum jedoch blind.“. Hier müsse die Hauswirtschaft ansetzen, einerseits in der Sensibilisierung des Konsumverhaltens, andererseits in der Stärkung der Familie als soziales Rückgrat dieser Gesellschaft. „Hauswirtschaft“, so Gröbly weiter, „basiert auf zwischenmenschlichen Beziehungen.“
Rund 200 Referentinnen und Referenten präsentierten am Jubiläumskongress aktuelle Forschungs- und Praxisresultate. Jeder Kontinent brachte seine eigenen Themen ein: In Europa und Nordamerika sind momentan Verschuldung und Konsumentenbildung zentral. In Asien dominieren die Bereiche Generationenkonflikt und Lebensmitteltechnologie während in Afrika die Nahrungsmittelsicherheit sowie Aids im Vordergrund stehen. Grundsätzlich hat Hauswirtschaft als Lebenswissenschaft in Afrika und Teilen Asiens noch immer einen schweren Stand. Dies zeigte sich in einer Diskussion im Anschluss an einen Vortrag zu den Perspektiven der Hauswirtschaft. „In Nigeria sind wir immer wieder mit der Frage konfrontiert, wieso man Hauswirtschaft überhaupt lernen, geschweige denn studieren muss. ‚Koch uns etwas, anstatt Bücher darüber zu lesen’, heisst es dann immer“, brachte eine nigerianische Delegierte diese Skepsis gegenüber einer fundierten Ausbildung auf den Punkt. Eine indische Kongressteilnehmerin teilte diese Sicht, wenn auch aus anderen Gründen: „Wir stehen in Indien unter einem grossen Konkurrenzkampf mit anderen Fächern. Uns drohen Fachhochschulen für Hauswirtschaft geschlossen zu werden, da das Geld für andere Ausbildungsrichtungen eingesetzt werden soll.“
Weitaus gefestigter nimmt sich die Situation der Hauswirtschaft in Finnland aus. Kaija Turrki, Professorin an der Universität Helsinki, verwies in ihrem Vortrag über die historische Entwicklung des IVHW auch auf die klare Rolle, welche Hauswirtschaft im finnischen Schulsystem innehält. „Durch die Verwurzelung der Schulküche in unseren Schulen gehören Ernährung, Gesundheit und Konsumverhalten von den ersten Schuljahren an zu festen Bestandteilen des Lehrplans und werden im Schulalltag nicht nur gelehrt, sondern auch erlebt.“ Eine vergleichende Studie von 2003 stellte zudem fest, dass die gesellschaftliche Wertschätzung hauswirtschaftlicher Berufe in Finnland signifikant höher ist als beispielsweise in Deutschland.
„Wirkungsvoll lobbyieren“
Neben den wissenschaftlichen Statements und Austauschrunden boten „Home visits“ einen willkommenen Anlass, die Schweiz hautnah kennen zu lernen. Dabei luden Familien Kongressgäste zu einem abendlichen Imbiss ein und gaben Einblick in ihren Familienalltag. Für Heidi Hausammann, Präsidentin der LCH-Fachkommission Hauswirtschaft sowie Ansprechperson und Helferin des Organisationskomitees, waren diese spontanen Kontakte mit internationalen Fachleuten bereichernd. Hausammann stellte fest, dass sich die Gewichtung der Themen in der Hauswirtschaft verschiebt. „Aspekte wie Konsumentenschulung und ökologisches Handeln im Alltag rücken ins Zentrum und sollten aufbauend von der Vorschulstufe bis in die Sekundarstufe besser verankert sein,“, sagte Heidi Hausammann, „dies machten Referate am Kongress deutlich.“ Die Technologisierung der Nahrungsmittelversorgung entwickle sich rasant, deshalb sei es wichtig, auf diese Trends einzugehen ohne dabei den Bezug zum Handwerk zu verlieren.
Auch die Wichtigkeit von gutem Lobbying sei ihr einmal mehr vor Augen geführt worden. Um hauswirtschaftlichen Anliegen zu Durchbruch zu verhelfen, gelte es Politik und Wirtschaft zu überzeugen. „Die Fachkommission Hauswirtschaft wird ihre kantonalen Kontaktpersonen zu gezielter und wirkungsvoller Lobbyingarbeit in Politik und Wirtschaft ermutigen und sie beraten, stärken und unterstützen.“
Buch und neue Zeitschrift
Dass der Jubiläumskongress des IVHW vom 26. bis 31. Juli in der Schweiz stattfand, kommt nicht von ungefähr. Der IVHW (englisch IFHE: International Federation of Home Economics) hat einen starken Bezug zur Schweiz, wurde er doch 1908 in Freiburg gegründet und in den ersten Jahren vom gleichnamigen Kanton administrativ unterstützt. Im Rahmen eines abschliessenden Ausflugs kehrten die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer am 1. August, begleitet durch die EDK-Präsidentin und Freiburger Erziehungsdirektorin Isabelle Chassot, in die Gründungsstadt zurück. Mittlerweile ist der internationale Sitz des IVHW in Bonn, dem Verband gehören über 100 Organisationen aus 57 Ländern sowie 1500 Einzelmitglieder an. Der IVHW wirkt als beratendes Mitglied in einer Reihe von überstaatlichen Organisationen (u.a. UNESCO, UNICEF) mit und hat den „consultative status“ der UNO, ein wichtiges Prädikat für die Relevanz auf internationalem Parkett.
Zum Jubiläum veröffentlichte der IFHW ein Buch (inklusive DVD), das seine Geschichte dokumentiert. Als einen weiteren Meilenstein bewerteten Experten am Kongress die Lancierung einer internationalen Zeitschrift für Hauswirtschaft. Die Zeitschrift „International Journal of Home Economics“ soll den internationalen Austausch fördern und den Anliegen der Hauswirtschaft im wissenschaftlichen Kontext zu mehr Gehör verhelfen.
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