Seitenwechsel in der Berufswahl

1. Juni 2018

Schülerinnen und Schüler üben sich als Berufscoaches: Das Lernspiel like2be führt zu einem Perspektivenwechsel. (Illustration: LerNetz)

Noch immer dominieren klassische Rollenbilder die Berufswahl. Das Online-Spiel like2be will Abhilfe schaffen und versetzt Jugendliche in die Situation eines Berufsberaters.

“Ich schliesse die Schule ab und möchte eine Ausbildung beginnen.” “Ich habe in Italien eine Lehre als Gärtner gemacht und suche eine Stelle in der Schweiz.” “Ich möchte als gelernte Milchtechnologin in der Lebensmittelbrnache eine neue Herausforderung annehmen.” So und ähnlich tönen die Wünsche der fiktiven Charaktere im Online-Spiel like2be. Darin schlüpfen Jugendliche in die Rolle eines Berufscoaches. Sie müssen für jeden Spielfigur eine optimale Lehrstelle suchen  -  und dies in möglichst kurzer Zeit.  Die Spieloberfläche zeigt ein Büro mit Schreibtisch, einen Computer und ein Stapel Dossiers. Auf dem Bildschirm sind Lehrstellen- und Stellenangebote aufgeführt. Mit Klick auf ein Dossier öffnet sich dieses und eine Person betritt das Büro. Die Jugendlichen erfahren mehr über die Ausbildungssituation, die Fähigkeiten und die Wünsche und müssen passende Lehrstellen oder Stellen vorschlagen. Der Spielerfolg misst sich an der Anzahl gut vermittelter Personen. Ist ein Stellensuchender unzufrieden, kehrt er am nächsten Tag zurück und die Beratung geht in die nächste Runde. Das Spiel will besonders die Geschlechterstereotype in der Berufswahl aufzeigen und aufweichen. Durch die wechselnden Stellenangebote erweitern die Jugendlichen zudem ihre Berufskenntnisse und können eigene Berufswünsche konkretisieren. Ergänzt wird das Online-Spiel durch Kartensets, die man zur Vertiefung einsetzen kann.

Kombination der Aktivitäten überzeugt
Pascal Minder hat im Unterricht wiederholt mit like2be gearbeitet. Mit seiner ehemaligen Klasse hat der in Wilderswil tätige Oberstufenlehrer 2015 und 2016 die Entwicklung des Online-Spiels begleitet. “Den Jugendlichen war während der Erprobung wichtig, dass Look und Feel des Spiels stimmten. Die Figuren sollten sie ansprechen und aktuelle Berufsthemen vermitteln”, sagt Pascal Minder. Der Oberstufenlehrer legt Wert auf einen geschlechtersensiblen Berufswahlunterricht. “Wenn man die Berufshitparade der Jugendlichen betrachtet, fällt beispielsweise auf, dass sich 80% der Mädchen für gerade mal 10 bis 15 Berufe interessieren. Tierpflege, Büro und Verkauf, soziale Berufe: Hier bündeln sich die Vorstellungen der Mädchen. Die handwerklichen oder technischen Berufsfelder blenden sie von Anfang an aus.”

Um diese Stereotypen aufzuweichen, erachtet er like2be als hilfreiches Instrument. Mit seiner jetzigen 1. Realklasse hat Minder im vergangenen Herbst mit dem Online-Spiel und den begleitenden Kartenset gearbeitet. “Mich überzeugt vor allem die Kombination der beiden Aktivitäten, diese ergänzen sich sehr gut”, sagt Minder. Während vier Lektionen haben sich die Schülerinnen und Schüler im ersten Semester an die Berufswahl herangetastet. Nach einer Einführung und einer Sequenz mit dem Online-Spiel folgte eine Phase mit dem Kartenset. Diese Erfahrungen vertiefte und reflektierte die Klasse, um danach die Vielfalt der Berufswelt anhand verschiedener Berufsbilder kennenzulernen. “Diese Abwechslung wirkt für die Jugendlichen motivierend”, sagt Pascal Minder. Doch wer das Online-Spiel ganz ohne Einführung einsetze, benötige einiges an Frustrationstoleranz. Für Jugendliche sei es herausfordernd, die Rolle eines Berufsberaters einzunehmen. Man müsse gut vermitteln können, was nicht immer auf Anhieb gelinge. Und auch der im Spiel angelegte Zeitdruck könne Hektik auslösen.

Eltern mitnehmen
Wenn es darum geht, die klassischen Rollenbilder in der Berufswahl mit Eltern aufzugreifen, hat Pascal Minder gute Erfahrungen mit dem Einbezug ehemaliger Schülerinnen und Schülern gemacht. Als er an einem Elternabend zur Berufswahl eine angehende Landmaschinenmechanikerin und einen angehenden Fachmann Betreuung mit Fachrichtung Kinderbetreuung einlud, löste das für die Eltern eine spannende Auseinandersetzung aus und verschaffte ihnen eine andere Perspektive auf die Berufswelt. Aus der Sicht von Minder ein wichtiger Schritt: „Oft prägen auch die Vorstellungen und Berufsbiographien der Eltern, diese lohnt es sich zu thematisieren.”

Als geeigneten Zeitpunkt für eine ausführliche Sequenz mit like2be empfiehlt Pascal Minder den Beginn des 8. Schuljahres. Das neu vorliegende, didaktische Begleitmaterial mit den Kartensets hilft, das Online-Spiel mit drei möglichen Schwerpunkten zu verknüpfen: Die Vielfalt der Berufswelt, stereotype Berufsbilder sowie Lebensläufe und Berufswege. Konzipiert hat like2be das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) der Universität Bern. Online-Spiel und Kartenset sind in den drei Landessprachen deutsch, französisch und italienisch umgesetzt und kostenlos verfügbar. Das Kartenset kann entweder bestellt werden oder ist als Download auf like2be.ch greifbar.
 

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