1. Oktober 2016
Pokémon-Alltag im vergangenen Sommer: Vor dem Berner Kulturcasino treffen sich Jugendliche und junge Erwachsene bei einem Pokéstop. (Foto: Fred Schaerli, Wikimedia Commons)
Was hat die Jugend im Sommer 2016 bewegt? Die Euro? Auch. Aber noch viel stärker: Pokémon Go.
Sie jagen Monster und Figuren. Sie laufen durch die Strassen, ohne den Blick zu heben. Und sie sind viele. Die Szenen, die sich diesen Sommer im öffentlichen Raum abspielten, glichen einer modernen Grossstadtsafari. Ganz in ihre Smartphones vertieft, machten sich Jugendliche auf die Spur von Phantasie-Figuren. Auslöser dieses Hypes ist das Spiel “Pokémon Go”. Was mit Geocaching in den 90er-Jahren seinen Anfang nahm, erreicht mit diesem vom Softwareunternehmen Niantic entwickelten Spiel seinen nächsten Höhepunkt: Spielkonzepte, die auf Mobilgeräte setzen und die direkte Umgebung einbeziehen. Pokémon Go ermittelt via GPS und Mobilfunkortung den eigenen Standort und fügt diesen auf einer Karte ein, die auf Google Maps basiert. In diese Karte werden nun Pokémon-Figuren, Pokéstops und Spielarenen eingepflanzt, die es zu finden gilt. Hat man eine Figur entdeckt, fängt man sie mit einem gezielten Pokéballwurf. Dazu wischt man mit dem Finger auf dem Display des Smartphones in Richtung des Pokémons. Pokéstops dagegen sind Bilder an Hauswänden, Statuen oder Sehenswürdigkeiten, bei denen man besondere Gegenstände findet. Und in den Arenen treten die Spieler mit ihren Pokémon-Figuren gegeneinander an. Neu dabei ist, dass Figuren und Ziele rein virtuell erscheinen und nicht real greifbar sind. Augmented Reality lässt grüssen.Mag der Hype um Pokémon Go mit der kälteren Jahreszeit etwas abflauen, er deutet an, wo sich Spiele für Smartphones oder Tablets hinbewegen und welche Dimension sie annehmen. Das Spiel wurde seit Juni ein halbe Milliarde mal heruntergeladen, die globale Game-Community dürfte an die 200 Millionen User umfassen. Die grosse Mehrheit davon ist zwischen 18 und 25 Jahre alt, etwa 5 Prozent sind jünger als 16. Spielexperten vermuten, dass Augmented Reality den Markt der “Mobile Games” regelrecht beflügeln wird.
Smartphone im Griff oder im Griff des Smartphones?
Wer Pokémon Go spielt, muss aber den Umgang mit seinem Smartphone beherrschen. Das Spiel setzt eine dauerhafte Internetverbindung und aktiviertes GPS voraus. Es verlangt Zugriff auf die Kamera, den Standort und die gespeicherten Kontakte, durchaus kritische Punkte. So warnen Datenschützer unter anderem davor, dass Pokémon Go Bewegungsprofile aufzeichnet. Und ist das Spiel an sich kostenfrei, lassen sich per In-App-Kauf hilfreiche Spielgegenstände erwerben. Dabei kann man den Überblick verlieren und in eine Kostenfalle tappen. Was am augenfälligsten ist: Im Strassenverkehr birgt Pokémon Go grosses Ablenkungspotenzial. Nicht nur in der Schweiz mahnte die Polizei vor achtlosen Passanten, die auf der Strasse nach Monster suchen und sich dabei völlig vergessen.
Dass sich auch Pädagogen von Pokémon Go begeistern lassen, belegen Lehrpersonen wie Tony Golding im US-amerikanischen Bundesstaat Mississippi. Er will das Spiel in seinen Unterricht einbauen und mit seinen Klassen Pokémon-Punkte rund um historische Stätten sammeln. Aus pädagogischer Sicht lassen sich mehrere Bezüge zu “Mobile Games” herstellen: Outdoor- und Medienpädagogik schliessen sich nicht mehr aus, sondern beginnen sich zu ergänzen. Auch der Ansatz der Gamification, Wissensinhalte basierend auf Spielprinzipien zu vermitteln, bietet Berührungspunkte. Wie sich positionsbezogene Spiele für pädagogische Zwecke nutzen lassen, zeigen beispielsweise Biparcours oder Actionbound (biparcoucs.de, de.actionbound.com). Diese Apps ermöglichen es, Stadt- und Naturrundgänge oder ortsabhängige Quizanwendungen zu eigenen Themen zu entwickeln.
Als eigentlicher Vorläufer von Pokémon Go hat bereits das 2013 lancierte Spiel Ingress soziale Interaktion mit ortsbasierten Spielen verbunden. Bei Ingress bildet man online Teams in der Nachbarschaft und erobert zusammen virtuelle Orte, die sich in der alltäglichen Umgebung verstecken. Das Ziel ist es, die Vorherrschaft im eigenen Territorium zu erringen. Das Spiel wird von Medienpädagogen mitverfolgt und in Forschungsprojekten untersucht.
Um “Mobile Games” nach pädagogischen Kriterien zu beurteilen, führt die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung seit mehreren Jahren das Portal spielbar.de. Untersucht werden bei jedem neuen Spiel die Zielgruppe, die pädagogische Eignung, der Faszinationsgrad, die soziale Interaktion, die Innovation des Spiels und das Bezahlmodell. Die Beurteilungen richten sich zum einen an Kinder und Jugendliche, zum anderen an Eltern und pädagogische Verantwortliche. Im Vordergrund steht dabei immer die eigenständige Auseinandersetzung mit Spieletrends.
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