„Wir müssen zu einer gemeinsamen Stimme finden“

1. Juni 2007

Die traditionellen Tanzformen der Siedler Amerikas standen im Workshop von Francis Feybli im Zentrum.

Im bildungspolitischen Diskurs ein Mauerblümchen, als Schulfach an den Rand gedrängt: Der Musikunterricht verlangt nach mehr Akzeptanz und Stellenwert – davon zeugen das rege Interesse am 10. Schulmusikforum sowie die Verfassungsinitiative „Jugend + Musik“.

Für einmal schwitzen in der Turnhalle des Campus Muristalden nicht Jugendliche, sondern Lehrerinnen und Lehrer. Doch Workshopleiter Francis Feybli lässt nicht locker. „One, two, three, four“, schallt es durch die Halle – schon läuft die Musik wieder. Eine schnelle Banjomelodie treibt die Lehrerinnen und Lehrer an, sie üben traditionelle Paar- und Gruppentänze der amerikanischen Siedlerkultur. Und nach einigen Anläufen klappt es: Der Gruppe gelingt die anspruchsvolle Tanzfigur „Step the willow“.

Francis Feyblis Workshop war einer von insgesamt 36, der am 10. Schulmusikforum vom 20. bis 22. April im Campus Muristalden in Bern angeboten wurde. Mit über 500 Anmeldungen aus der ganzen Deutschschweiz fand auch die zehnte Ausgabe dieser Weiterbildungsreihe grossen Anklang. „Im Vergleich zum neunten Forum haben wir das Angebot heuer ausgebaut. Trotzdem konnten wir einmal mehr nicht alle Anmeldungen berücksichtigen“, sagt Kurt Rohrbach, Hauptinitiant des Schulmusikforms. Ursprünglich getragen vom Berner Erziehungsdepartement, organisiert seit mittlerweile acht Jahren der Verein Fortbildungmusik  das alle zwei Jahre stattfindende Schulmusikforum. Wert legen die Organisatoren auf ein breites Kursspektrum, das sich vom Kindergarten bis zum Gymnasium an alle musikinteressierten Lehrpersonen richtet.

Und diese Fülle an Ideen kam an, viele Lehrpersonen schwärmten von der Reichhaltigkeit. Die Chorarrangements der begeisternden Nanni Byl, die spielerischen und kindergerechten Liedarrangements für die Unterstufe von Stephanie Jakobi-Murer, der charismatische Andrew Bond mit seiner „Dompteurenschule“, die Einführung in die musikalische Filmvertonung von Friederich Neumann, die aus PET-Flaschen und Stahldraht hergestellten Instrumente von Boris Lanz: Die einzige Qual bestand für die Teilnehmenden in der Auswahl der parallel laufenden Workshops.

Bern, die Musikhochburg

Es kommt nicht von ungefähr, dass das schweizweit einzigartige Schulmusikforum in Bern stattfindet. „Wir haben in unserem Kanton eine starke Tradition der Schulmusik“, erklärt Kurt Rohrbach. In Bern umfasst Musikunterricht bis ins neunte Schuljahr zwei Wochenlektionen und ist zudem promotionsrelevant. Diese Verankerung im Lehrplan schlägt sich auch in einer aktiven, national beachteten Berner Musikszene jenseits der Music-Star-Attitüde nieder. Ungleich anders sieht die Situation im Kanton Zürich aus: Dort ist Musikunterricht ab dem siebten Schuljahr fakultativ.

Mit Blick auf HarmoS, die Harmonisierung der obligatorischen Schulzeit über die Kantonsgrenzen hinaus, stellen sich bei Rohrbach jedoch gemischte Gefühle ein. „Einerseits begrüsse ich Standards in den einzelnen Fächern sehr, anderseits befürchte ich einen Ausverkauf des Musikunterrichts und eine zunehmende Gewichtung der Stammfächer, die im PISA-Rampenlicht stehen.“ Um dem entgegenzuwirken hat die mittlerweile aufgelöste Arbeitsgruppe Musikpädagogik NW EDK/EDK Bildungsstandards für den Musikunterricht festgehalten. Rohrbach war Mitglied dieser Arbeitsgruppe und erhofft sich, dass diese Mindestforderungen bei Bildungspolitikern auf offene Ohren stossen. „Gerade im ganzheitlichen Lernen sowie in der Förderung des Gruppengefühls und der Teamfähigkeit ist Musik ein herausragendes Mittel.“ Erkenntnisse der Hirnforschung zeigten zudem klar, wie positiv sich musikalisches Tun auf die kognitive Entwicklung auswirke, sagt Rohrbach. Für ihn selber ist Musik das eigentliche Lebenselixier. Neben der Organisation des Schulmusikforums arbeitet der ausgebildete Gesangs- und Musiklehrer im Oberstufenzentrum Kehrsatz, ist in der Lehrerbildung tätig, leitet als Dirigent und Komponist diverse Musikprojekte und ist Mitherausgeber der Zeitschriften „Praxis des Musikunterrichts“ und „Musik mit Kindern“.

Fachlehrkräfte oder Zehnkämpfer?

Der Wandel, den der Musikunterricht in den vergangenen Jahren durchlaufen hat, stellt vor allem an „zehnkämpfende“ Primarlehrerinnen und Primarlehrer immer höhere Anforderungen. Zwei oder drei Instrumente spielen, mit Musiktheorie und -geschichte auf Du und Du stehen, Bewegung und Tanz in den Unterricht einbauen, Audiosoftware kennen, eine Klasse mit "feu sacré" zum Singen und Musizieren animieren: Dies und mehr muss eine Musiklehrperson mitbringen. Deshalb ist für Kurt Rohrbach eine qualitativ hochstehende Fachausbildung zentral für einen gelingenden Musikunterricht. „Die Entwicklung weg vom Zehnkämpfer hin zur Fachlehrkraft ist vorgezeichnet“, so Rohrbach. Darüber hinaus habe Musik aber als elementares Ausdrucksmittel genauso ihren Platz in anderen Schulfächern oder fächerübergreifenden Projekten. „Mit dem Übergang von den Lehrerseminaren zu den Pädagogischen Hochschulen wurde der verbindliche Instrumentalunterricht für angehende Lehrerinnen und Lehrer auf ein unverantwortliches Minimum reduziert. Damit bin ich nicht einverstanden. Musik hat allgemeinbildenden Charakter, diesem Aspekt muss die Lehrerbildung wieder verstärkt gerecht werden.“

Weiterbildung neu denken

Um die gestiegenen Anforderungen für einen abwechslungsreichen und aktuellen Musikunterricht zu erfüllen, benötigen Lehrpersonen zweckdienliche Weiterbildung. Dies belegt die Popularität des Schulmusikforums augenscheinlich.

Die Weiterbildung im Fach Musik neu ausgerichtet hat auch die solothurnische Abteilung der PH FHNW (Pädagogische Hochschule der Fachhochschulen Nordwestschweiz). Unter dem Namen „Werkplatz Musik“ läut seit Frühjahr ein Kursprogramm, das aus vier stufenübergreifenden Allroundkursen und weiteren stufenbezogenen Zusatzkursen besteht. „Wir wollten weg vom punktuellen Anbieten einzelner Kurse und entschieden uns für ein zweiteiliges, aufbauendes Konzept“, sagt Niklaus Spielmann, Mitinitiant von „Werkplatz Musik“ und Musikdidaktiker an der PH. Während die vier Allroundkurse niederschwellig und praxisorientiert angelegt seien, würden die Zusatzkurse Platz für die Vertiefung einzelner Themen bieten. „In einem Allroundkurs kann beispielsweise die Einführung eines Lieds im Zentrum stehen, das dann mit einfachen Mitteln instrumentiert und arangiert wird.“, erläutert Spielmann. „Die Zusatzkurse dagegen setzen eine gewisse Erfahrung im Musikunterricht voraus.“ Bis jetzt konnten alle ausgeschriebenen Kurse durchgeführt werden, die Nachfrage seitens der Lehrpersonen ist vorhanden. Angelegt ist „Werkplatz Musik“ vorerst auf drei Jahre, wobei der Inhalt der Allroundkurse derselbe bleibt, währenddem das Angebot der Zusatzkurse variiert.

Musik in die Verfassung

Positive Impulse in der Weiterbildung sind das eine, der gesellschaftliche Status der Schulmusik und der Musikschulen das andere. Am 17. Juni befinden die Stimmbürger von Appenzell Ausserrhoden darüber, ob ihre Musikschulen weiterhin auf finanzielle Unterstützung des Kantons zählen können. In Luzern hat der Regierungsrat eine ähnliche Initiative vor zwei Jahren abgeklemmt und den Musikschulen die finanzielle Unterstützung entzogen. Seither müssen Luzerns Musikschulen jährlich auf 3 Millionen Franken verzichten. Für Hector Herzig, Leiter der Regionalen Musikschule Liestal und Mann der ersten Stunde der Verfassungsinitiative „Jugend + Musik“, stehen die Zeichen deshalb auf Sturm: „Die Musikschulen sind am Gängelband der Kommunalpolitiker und müssen andauernde Kürzungen schlucken. Musik und Kultur dürfen nichts kosten. Gleichzeitig beklagt man sich über gewalttätige und disziplinlose Jugendliche oder mangelndes Identitätsbewusstsein. Diese Haltung geht nicht auf.“ Aus diesem Grund sei es höchste Zeit, musikalische Bildung in der Verfassung zu verankern.

Es sind zwei Forderungen, welche die Initiative „Jugend + Musik“ stellt: Erstens sollen Bund und Kantone die musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen fördern. Zweitens soll der Bund Grundsätze für den Musikunterricht an Schulen, den Zugang der Jugend zum Musizieren und die Förderung musikalisch Begabter festlegen.

Die Idee der Verfassungsinitiative brachte Herzig im vergangenen Oktober erstmals aufs Tapet. Und dann ging alles ganz schnell: Der Initiativtext entstand, der Verband Schweizer Schulmusik (VSSM) sagte seine Unterstützung zu und Mitte März stellte sich der Schweizer Musikrat (SMR) deutlich hinter „Jugend + Musik“. Mit rund einer halben Million Mitgliedern in den angeschlossenen Chören, Musikgruppen und Musikschulen garantiert der SMR eine bestmögliche Ausgangslage für die 100 000 nötigen Unterschriften. Im Moment prüft die Bundeskanzlei den Initiativtext, die Unterschriftensammlung soll in der zweiten Jahreshälfte beginnen.

„Um der Initiative zusätzliches Gewicht zu verleihen, wollen wir nicht bloss 100 000, sondern 250 000 Unterschriften sammeln“, sagt Hector Herzig. Um danach einen erfolgreichen Abstimmungskampf zu führen, brauche es zudem einen Schulterschluss aller Beteiligten. „Musiklehrer, Instrumentallehrer, Musiker, Kulturschaffende: Wollen wir dieses Anliegen in die Tat umsetzen, dann müssen wir über unsere Partikularinteressen hinweg zu einer gemeinsamen Stimme finden.“

 

Weiter im Netz:

www.fortbildungmusik.ch

www.snipurl.com/1hols (PDF-Version der Bildungsstandards für den Musikunterricht, ausgearbeitet von der Arbeitsgruppe Musikpädagogik NW EDK/EDK)

www.miz.ch (Informationen zur Verfassungsinitative „Jugend + Musik“)

Ähnliche Themen

  • Ein Sommernachtstraum am helllichten Tag
    15. März 2012

    Bühnenluft schnuppern und Musikern über die Schultern blicken: Mit Workshops und Schulkonzerten setzt das Lucerne Festival einen neuen Impuls in der klassischen Musikvermittlung.

  • Wenn Tablets den Takt angeben
    1. September 2016

    Smartphones und Tablets eröffnen im Musikunterricht Möglichkeiten. Vor allem dann, wenn sie nicht bloss klassische Instrumente imitieren wollen.

  • Wo Musik gut tönt
    1. Juni 2021

    Das aktuelle Schweizer Musikschaffen ist vielfältig und spannend. Eine ideale Ausgangslage, heimische Popsongs im Musikunterricht aufzugreifen.