eBooks entern das Schulzimmer

1. Dezember 2012

Deutsche Lehrmittelverlage machen gemeinsame Sache: digitale-schulbuecher.de. 

Das Lehrmittel von morgen ist flach, verursacht keine Rückenschmerzen und verlangt interaktives Arbeiten.

Am 5. November hat der deutsche Verband Bildungsmedien die Plattform “Digitale Schulbücher” lanciert. Damit vertreiben künftig 27 Lehrmittelverlage auf einem gemeinsamen Portal ihre digitalen Lehrmittel. Aktuell stehen mehr als 500 Werke im Angebot. Ob zu Hause oder in der Schule, bei der Unterrichtsvorbereitung oder vor der Klasse: Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler können die digitalen Lehrmittel aufrufen, Notizen hinterlegen, Lesezeichen setzen oder Texte markieren. Der Vorteil: Ein einziges Login regelt den Zugriff auf alle Werke.

„Digitale Schulbücher“ läuft plattformunabhängig auf Windows-, Linux- und Apple-Rechnern. Tablet-Versionen für Android-Geräte und iPads sind für das kommende Jahr geplant (www.digitale-schulbuecher.de). Entstanden war die Initiative Anfang 2012 als Reaktion auf die von Apple vorangetriebene Strategie, mit dem iPad dem klassischen Schulbuch den Rang abzulaufen.

„Wir hatten einen sehr guten Marktstart. In den vergangenen Wochen ist allein unser Testbuch rund 4000mal aufgerufen worden. Auch die beteiligten Verlage sind mit dem Kundeninteresse sehr zufrieden“, erklärt Christoph Bornhorn, Geschäftsführer des Verbands Bildungsmedien. „Derzeit arbeiten wir daran, die Anzahl der Verlage und der Bücher zu erhöhen. Und wir werden in Kürze ein Software-Update bereitstellen, damit ‘Digitale Schulbücher’ auch offline genutzt werden kann.”

Christoph Bornhorn beurteilt den zentralen Zugang zu digitalen Lehrmitteln als eine wesentliche Erleichterung für Schulen. Der Verkauf von Freischaltcodes dagegen passiert weiterhin auf den Websites der einzelnen Verlage. Diese entscheiden auch über die Preise und die Laufzeiten der Lizenzen.

“Interesse an gemeinschaftlichen Lösungen”

In der Schweiz ist die Lehrmittelverlagslandschaft zwar kleinräumiger, aber ähnlich heterogen wie in Deutschland. Es gibt kantonale Lehrmittelverlage wie den Lehrmittelverlag Zürich oder den Berner Schulverlag plus; es gibt privatwirtschaftliche Verlage wie Klett und Balmer oder Sauerländer. „Als Koordinationsstelle der Kantone haben wir grosses Interesse an gemeinschaftlichen Lösungen, die den digitalen Zugriff für Schulen vereinfachen“, erklärt Marcel Gübeli, Direktor der Interkantonalen Lehrmittelzentrale ilz. „Die deutsche Lösung bietet mit dem Single-Sign-On einen sehr guten Lösungsansatz. Diese Grundlage könnte für die Deutschschweiz Modellcharakter haben.“

Mit der educa.ID kennt die Schweizer Volksschule bereits ein Identifikationssystem, das seinen Nutzerinnen und Nutzern mit einem einzigen Login mehrere Angebote zugänglich macht. Bis anhin beschränken sich die Dienstleistungen hinter der educa.ID auf hauseigene Services des Schweizer Bildungsservers. Als „virtuelle Schulzimmertüre“ scheint diese Lösung aber prädestiniert, um Lizenzen digitaler Lehrmittel für Schulen zu verwalten.

Doch neben technischen Knackpunkten bringt die digitale Aufbereitung von Lehrmitteln auch rechtliche Hürden mit sich.„Es besteht ein bedeutender Unterschied zwischen digital Zur-Verfügung-stellen-können und Zur-Verfügung-stellen-dürfen. Der Vertrieb digitaler Inhalte an Schulen ist komplex“, sagt Marcel Gübeli. Während ein iTunes-Store für Private ideal sein möge, sei er für Schulen nach heutigem Stand problematisch. Denn eines bleibe für Verlage entscheidend: der direkte Kundenkontakt. Und auch Fragen des Copyrights und der Lizenzen stellten im digitalen Bereich eine grosse Herausforderung dar.

Zugleich warnt Marcel Gübeli davor, mit der Digitalisierung von Lehrmitteln Kosten sparen zu wollen. „Ob PDF oder herkömmliches Buch, die Entwicklungskosten sind wohl vergleichbar, nur der Vertrieb unterscheidet sich. Doch die Illusion, alles werde günstiger, zerplatzt, wenn Kosten für Hardware, Software oder Support berücksichtigt werden.“ Statt eines Entweder-oder propagiert Marcel Gübeli hier eine abwägende Haltung: In welcher Situation ist das Buch geeignet, wo sind interaktive Lehrmittel sinnvoll?

Und künftig: Buch = e + Book?

Weiter als das Konzept „Digitale Schulbücher“ gehen Initiativen in den USA, in Polen oder in Südkorea. Die in Kalifornien beheimatete CK-12 Foundation publiziert so genannte Flexbooks: Digitale Lehrbücher in englischer Sprache, die kostenlos zur Verfügung stehen und sich individuell zusammenstellen lassen. Bis jetzt liegen über 60 Lehrbücher für unterschiedliche Fächer vor, einige davon gehören zu den offiziellen Lehrmitteln an Kaliforniens Schulen (www.ck12.org).

In Polen verfolgt das Bildungsministerium das Ziel, für die vierte bis sechste Klasse offene Bildungsmaterialien zu schaffen. Dabei wird mit grosser Kelle angerührt: 13 Millionen Euro gibt der Staat für die Produktion der Lerninhalte aus. Diese werden notabene unter Creative-Commons-Lizenzen veröffentlicht und können somit beliebig kopiert, verändert und vervielfältigt werden. Weitere knappe 13 Millionen Euro fliessen in die Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik. Und knapp 5 Millionen Euro kommen der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer zugute.

Auf eine lange Erfahrung mit digitalen Lehrmitteln blickt Südkorea zurück. Nach mehreren Pilotprojekten verschwinden bis 2015 sämtliche gedruckten Schulbücher aus den Schulzimmern, sie werden komplett durch digitale Lehrmittel ersetzt.

Diese Beispiele machen deutlich: Die Diskussion um die Weiterentwicklung von Lehrmitteln wird in absehbarer Zukunft nicht abebben, dazu ist das digitale Umfeld zu dynamisch.

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