„Noch keine überzeugende Version“

1. Januar 2015
„Noch keine überzeugende Version“

Schweden setzt im Bereich der digitalen Lehrmittel auf Learnify, eine offene Plattform mit Lernmaterialien von Schulverlagen und Lehrpersonen. Nun wird Learnify auch in der Schweiz aktiv.

Digitale Lehrmittel haben ihren ersten Hype Cycle durchlaufen. Was hat sich für die Schule bisher verändert?

Die Diskussion um digitale Lehrmittel ist spannend und ernüchternd zugleich. Gross angekündigte “Game-changer” haben bisher nicht zum Durchbruch oder zu einer breiten Nutzung geführt, so geschehen mit Apples Autorentool “iBooks Author” oder mit der Plattform deutscher Lehrmittelverlage digitale-schulbuecher.de. Deutschschweizer Lehrmittelverlage beginnen, ihre Produkte auf den interaktiven  Einsatz am Tablet auszurichten, Beispiele wie die Multidingsda, Apppolino oder Mille feuilles sowie die digitalen Lehrmittel des HEP-Verlags sind Beleg dafür. Doch hochtrabende Zugriffszahlen auf diese Angebote hat bis jetzt aber kein Verlag vermeldet.


Apps dominieren
Steve Bass setzt sich als Medienpädagoge an der Primarschule Regensdorf seit Jahren mit digitalen Lehrmitteln auseinander, im Unterricht gehören iPads in Regensdorf zum Alltag. “Wir nutzen momentan keine elektronischen Lehrmittel, da es schlicht keine überzeugende Version eines obligatorischen oder häufig genutzten Lehrmittels für die Primarstufe im Kanton Zürich gibt”, erklärt Bass. Vielmehr werde der Tablet-Einsatz von Apps dominiert, die einen bestimmten Unterrichtszweck erfüllten. “Rechtschreibung repetieren, Buchstaben lernen, Lesefertigkeit trainieren oder in der Mathematik Bruchrechnen, Masse kennen und Malreihen üben: Für solche Tätigkeiten gibt es gute Apps, die wir regelmässig verwenden.” Zudem habe man bei Klassenlektüren bereits mit eBooks gearbeitet. Gespannt ist Steve Bass auf das neue Französischlehrmittel “dis donc”, welches im kommenden Jahr als digitales Lehrbuch für die Schüler aufliegen wird.
Beim Vergleich von herkömmlichen Lehrmitteln mit Tablets streicht Bass zwei Unterschiede heraus. “Einerseits profitiert die Medienproduktion deutlich vom Tablet-Einsatz. Lernen mittels Fotos, Tonaufnahmen, Videos oder Texten sichtbar zu machen, Dialoge in einer Fremdsprache als digitales Lernarragement umzusetzen: Aktivitäten wie diese führen zu einem schülerzentrierten Unterricht, der Medienkompetenz en passant miteinschliesst.” Und anderseits könne man ein Tablet in eine persönliche Lernumgebung umfunktionieren und damit sämtliche individuellen Lernschritte abbilden. Das sei aber nur dann sinnvoll, wenn das Gerät dem Schüler gehöre, so Bass.


Eine Bibliothek macht viele Lehrmittel
Dass Tablets zu persönlichen Lernumgebungen werden, ist auch dem Trend des selbstbestimmten Lernens geschuldet. Und dieser hat Auswirkungen, auch auf digitale Lehrmittel. Sind diese künftig nicht mehr linear aufgebaut, sondern bieten adaptive, auf den einzelnen Schüler abgestimmte Lernwege? Wie lässt sich der digitale Zugang regeln, dass urheberrechtlich nichts schief läuft? Auf welche technischen Standards kam man setzen? Wie sich vor dem Hintergrund solcher Fragen ein dynamisches Ökosystem von digitalen Lernmaterialien aufbauen lässt, zeigt die schwedische Plattform Learnify (www.learnify.com). Auf Learnify versammeln sich Hunderttausende freier Lernmaterialien, zusammengetragen von 30’000 Lehrpersonen. Aus diesem Fundus kann man passende Materialien auswählen, bearbeiten und neu zusammenstellen. Dabei stellt Learnify einen Editor zur Verfügung, um eigene multimediale Inhalte herzustellen. Texte, Bilder, Videos und interaktive Elemente können so zu Lernsequenzen kombiniert werden. Doch nicht nur Open Educational Resources (OER) sind auf Learnify vertreten, auch alle grossen schwedischen Schulverlage bieten ihre Lehrmittel oder Teile davon in Jahreslizenzen an. Und als dritte Quelle lassen sich in Learnify Ressourcen aus dem Internet einbinden. Bei einer Suche im Netz überprüft Learnify die Resultate auf das für die Schule geltende Urheberrecht.
Grundstruktur der stetig wachsenden Learnify-Bibliothek bilden die schwedischen Lehrpläne. Mit Hilfe von „Likes“ und Kommentaren helfen sich Lehrpersonen gegenseitig, passendes Material zu finden. Diese Arbeitsweise scheint zu funktionieren: Jede vierte Lehrperson beteiligt sich aktiv am Austausch und setzt die Lernmaterialien im Unterricht ein. Entstanden ist Learnify aus einem Projekt des schwedischen Bildungsministeriums, 2010 wurde die Plattform zu einem eigenen Unternehmen. Ein ausführlicher Bericht findet sich auf dem Portal der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (www.goo.gl/DLsy6j).
Beispiele wie Learnify machen deutlich, dass Potenzial in digitalen Lernmaterialien schlummert. Es liegt an der Bildungspolitik zu definieren, ob und wie dieses in der Schulstube zur Anwendung kommt.

01_2015.pdf (106.7 KB)

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