Wenn Tablets den Takt angeben

1. September 2016

Musik zu viert mit einem iPad? Die App "Rockmate" machts möglich.

Smartphones und Tablets eröffnen im Musikunterricht Möglichkeiten. Vor allem dann, wenn sie nicht bloss klassische Instrumente imitieren wollen.

Auf den Touchscreen getippt, schon ertönt die Melodie und der Rhythmus legt los. Mit iPads begleiten vier Oberstüfenschüler ihre Klasse beim Singen. Gitarre, Bass, Keyboard und Schlagzeug schallen aus den Boxen. Es handelt sich um Apps auf den iPads, die für die musikalische Untermalung sorgen. So sieht ein mögliches Unterrichtsszenario aus, wie es an der Oberstufe Frauenfeld gang und gäbe ist. Seit 2012 setzt der dort tätige Sekundarlehrer Haro Jost in seinem Unterricht iPads ein und fokussiert dabei auf das Fach Musik. Ein Resultat dieser Arbeit sind seine eigens gebauten “Minimusikstudios”, die in einen Koffer passen und je vier Tablets, ein Mischpult und Kabel enthalten. Damit lässt sich in Kleingruppen komponieren und produzieren, ausgerüstet mit Kopfhörern geht das gar mit mehreren Gruppen im gleichen Raum. Die Pädagogische Hochschule Thurgau hat Josts iPad-Einsatz in einem dreijährigen Projekt begleitet. Der 2015 erschienene Abschlussbericht streicht positive Effekte heraus: Neben der allgemein gestiegenen Lust und Neugier der Jugendlichen an musikalischer Auseinandersetzung hat sich auch die Rhythmik verbessert. Der iPad-Klasse seien Rhythmusübungen leichter gefallen als den Klassenzügen davor. Zudem hätten die Jugendlichen gelernt, beim Musikmachen besser aufeinander zu hören, zu zählen und Arrangements zu erstellen. 
Das Spannungsfeld “echte Instrumente versus App”, wie es im eingangs geschilderten Szenario auftaucht, spricht der Abschlussbericht ebenso an. Mit einem klaren Fazit: Man lernt kein klassisches Instrument zu spielen mit iPad und entsprechender App. Man lernt aber die Strukturen und Regeln der Musik kennen. Sei es durch ein einfaches Arrangement eines Popsongs, sei es indem man den Aufbau eines Liedes digital visualisiert. Der Bericht ist auf der Website der Schule Frauenfeld zugänglich und vermittelt einen praxisnahen Einblick.
 
Experimentieren mit Musik im Lehrplan 21 
Musik hören, Musik komponieren und produzieren, Musik teilen, sie analysieren oder dokumentieren: Die Digitalisierung verändert den Umgang mit Musik radikal. Smartphones oder Tablets sind mehr als virtuelle Imitate eines Klaviers oder einer Gitarre, sie loten neue Bereiche aus. Wie sich das nutzen lässt, zeigen beispielsweise Youtube-Videos der neuseeländischen Popsängerin Kimbra. Sie bestreitet ihre Soloauftritte mit einem iPad und loopt damit ihre Stimme, verfremdet sie oder spielt Melodie- und Harmoniespuren ein, um ganze Arrangements daraus entstehen zu lassen.
Dem Einfluss von digitalen oder elektronischen Medien will auch der Lehrplan 21 Rechnung tragen. Im Fachbereich Musik sieht er vor, dass Kinder “mit elektronischen Medien musikalisch experimentieren”. Doch wer sich auf dem Markt nach möglichen Apps umsieht, steht vor einem Problem: Wo anfangen? Hunderte von Apps bieten sich an, alleine das Produzieren und Bearbeiten von Musik scheint ein Eldorado für App-Entwickler. Mögliche Abhilfe verschafft die Website schulfachmusik.ch der PH FHNW. Noch im Aufbau begriffen, will dieser Auftritt eine Sammlung von iOS-Apps präsentieren, welche man im Unterricht sinnvoll einsetzen kann. Eine ähnliche Anlaufstelle bildet forschungsstelle.appmusik.de. Hier beschäftigen sich Medien- und Musikpädagogen mit Apps in der musikalischen Praxis. Interessant sind die zahlreichen Unterrichtsideen, eine nennt sich “Guess the beat”. Jugendlichen lernen dabei charakteristische Rhythmen unterschiedlicher Musikstile kennen. Mit der App „DM1“ (TheDrumMachine 1) arrangieren und variieren sie im Anschluss je einen Rhythmus, um diesen der Klasse vorzuspielen. Die Zuhörer müssen dann erraten, welcher Rhythmus die Grundlage für die Adaption bildete.
Weitere hilfreiche Tipps liefert ipadlernen.ch, eine Website von Stefan Gisler. Der Schulmusiker beschäftigt sich seit 2009 mit den Möglichkeiten von Tablets im Musikunterricht, entsprechend umfassend sind seine Hinweise. Dank verschiedener Rubriken (Musiktheorie, Musik lernen, Effekte und Simulationen, …) findet man sich schnell zurecht, zudem sind seine Empfehlungen nach Betriebssystemen geordnet. 
 
09_16.pdf (100.33 KB)

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