Mit der App Geschichte weiterschreiben

1. Juni 2016
Mit der App Geschichte weiterschreiben

Eduard Castres, Maler des Bourbaki Panoramas, führt als Hauptfigur durch die neue App “My Bourbaki Panorama”.

Die App «My Bourbaki Panorama» kombiniert Lernen vor Ort mit digitalen Medien. Jugendliche schreiben ihre eigene “Bourbaki-Story” und verschaffen sich einen individuellen Zugang zum Rundbild.

Eduard Castres war ein begeisterter Maler. Und sein Rundbild der Bourbaki-Armee begeistert Generationen nach seiner Zeit. Das 110 Meter lange und vier Meter hohe Werk zeigt die Internierung von 87‘000 Soldaten im jurasischen Les Verrières. Unter der Führung von General Bourbaki flüchten die französischen Soldaten im Winter 1871 vor ihren deutschen Widersachern. Als Eduard Castres, der die Internierung als freiwilliger Rotkreuzhelfer miterlebt, das Wandbild 1881 malt, will er einerseits den humanitären Notstand der Soldaten und anderseits die spontane Hilfe der Bevölkerung hervorheben.
Nun spielt Eduard Castres auch virtuell eine Hauptrolle – in der App “My Bourbaki Panorama”. Das Bourbaki Panorama in Luzern hat diese Anfang 2016 lanciert, um Schulklassen den historischen Hintergrund des Wandbilds interaktiv zu vermitteln. “Unsere Tablet-App ist an einen Museumsbesuch geknüpft und nicht über den App-Store zugänglich”, erklärt Museumsleiterin Irène Cramm. “Sie richtet sich an Schulklassen der Sekundarstufen I und II, bei einem Museumsbesuch stellen wir Klassen unsere iPads zur Verfügung. So entfällt für Lehrpersonen der Aufwand, eigene Geräte zu organisieren und mitzunehmen.”

Vom Museumsbesuch zum Histotainment
Castres führt als Erzähler durch die App. Nach einer Einführung folgen drei thematische Schwerpunkte: Die französischen Soldaten, das Rote Kreuz sowie die Schweizer Armee und mit ihr die Zivilbevölkerung. Dabei kommen Figuren auf dem Wandbild zu Wort und legen ihren Hintergrund offen. Dies ist eine Stärke der App: Es werden Einzelschicksale sichtbar, die sonst in der Fülle des Wandbilds unterzugehen drohen. Die Geschichte wird mit Geschichten von Menschen erzählt. Das schafft emotionale Nähe.
Die Jugendlichen werden über diese persönlichen Schilderungen zum Handeln angeregt. Sie machen Fotos, notieren ihre Eindrücke und beantworten Fragen. Sie sind nicht bloss als Konsumenten, sondern auch als Produzenten gefragt. Ein Auftrag lautet beispielsweise, sich eine Person aus der französischen Armee auszuwählen und deren möglichen Gedanken vor, während und nach dem Grenzübertritt zu formulieren. So entsteht Schritt für Schritt eine individuelle “Bourbaki-Story”, ein bebildertes Dokument, das am Schluss als PDF vorliegt und per E-Mail weitergeleitet werden kann.
Die App bereits mit einer Schulklasse getestet hat Daniel Knüsel, Lehrer an der gewerblichen Berufsschule in Luzern. Vorbereitung, Besuch, Nachbereitung: Für Knüsel bietet „My Bourbaki Panorama” in allen drei Phasen einen Mehrwert. “Die didaktisch aufbereitete Einführung in der App nimmt mir als Lehrpersonen einen Teil der Vorbereitung ab”, sagt Daniel Knüsel. “Beim Besuch selber ermöglicht die App allen Schülerinnen und Schülern einen individuellen Zugang zum Wandbild. Sie erkunden das Wandbild nach ihren Gesichtspunkten. Und was die Nachbereitung bereichert: Die Storys, welche die Jugendlichen während dem Besuch mit der App zusammenstellen, bilden einen idealen Anknüpfungspunkt, um im Unterricht auf das Erlebte einzugehen und einzelne Aspekte noch einmal aufzugreifen.”

Zusammenarbeit mit der PH Luzern
In der Entwicklung der App hat das Zentrum für Geschichtsdidaktik der PH Luzern eine zentrale Rolle gespielt und den didaktischen und inhaltlichen Überbau beigesteuert. Dadurch gelang es, den Ansprüchen des Lehrplans 21 gerecht zu werden und aktuelle Erkenntnisse der Geschichtsdidaktik aufzunehmen. “Diese Zusammenarbeit war befruchtend und geht weiter”, sagt Irène Cramm. So werde die PH Luzern ab Herbst die Weiterbildung “Neue Wege der Geschichtsvermittlung” anbieten und auf die Bourbaki-App eingehen.
Für Irène Cramm spannt „My Bourbaki Panorama” auch aus Sicht der Mediengeschichte einen passenden Bogen. “Das Rundbild ist eines der letzten Originale der Unterhaltungskultur des 19. Jahrhunderts, noch vor Erfindung des Films. Insofern erscheint es uns folgerichtig, dieses für die damalige Zeit modernste Medium mit modernen Medien der heutigen Zeit zu vermitteln.”
Zu “My Bourbaki Panorama” existiert eine Handreichung für Lehrpersonen. Zudem erhalten Lehrpersonen auf Anfrage einen passwortgeschützten Link zu einem Video, das zeigt, wie Schülerinnen und Schüler die App vor Ort nutzen.

Weiter im Netz
Der Videotrailer auf Youtube verschafft einen gute Einblick in die App.
16_06.pdf (387.36 KB)

Ähnliche Themen

  • Bewegte Bilder für bewegten Sportunterricht
    1. Juli 2019

    Zufallsgruppen bilden, Zeiten stoppen, den Spielstand anzeigen: Diese klassischen Tätigkeiten im Sportunterricht lassen sich an Apps delegieren. Am stärksten zeigen sich Smartphones und Tablets aber beim Analyisieren von Bewegungsabläufen.

  • Klicken statt blättern?
    1. Juni 2012

    Der Sprung vom herkömmlichen Schulbuch zum digitalen Lehrmittel ist ein grosser. Als Zwischenschritt hat sich Lernsoftware etabliert, die ein Lehrmittel ergänzt und vertieft.

  • Lernsoftware mit Lokalkolorit
    1. November 2015

    Der Verein Revoca entwickelt seit 25 Jahren Software für die Volksschule. Wie überlebt ein kleines Non-Profit-Unternehmen im schnelllebigen Softwaregeschäft?

  • Auf dem Weg zur iSchule?
    1. Februar 2012

    So langsam gewöhnt sich die Schule an digitale Lernressourcen und Apps, schon steht die nächste Herausforderung an: Apple plant, mit einer Bildungsinitiative die Schulbücher zu ersetzen.

  • Die Karten werden neu gewischt
    14. März 2013

    Mit digitalen Hilfsmitteln lässt sich eine Schulreise heute leichter planen und durchführen als noch vor einigen Jahren. Doch wo liegen die Vor- und Nachteile von GPS-Apps und Co.?

  • Medienwandel - Chance für den Unterricht
    1. April 2015

    Projekte mit Smartphones oder Tablets im Unterricht nehmen zu. Und wo die portablen Helferlein schon lange im Einsatz sind, beginnen sie sich zu etablieren.

  • Wenn Tablets den Takt angeben
    1. September 2016

    Smartphones und Tablets eröffnen im Musikunterricht Möglichkeiten. Vor allem dann, wenn sie nicht bloss klassische Instrumente imitieren wollen.