Auf Tauchgang im Datenmeer

15. November 2010

Das Value Lab der ETH forscht nach Ansätzen moderner Wissensvermittlung und -transaktion, beispielsweise mit dem Multi-Touchscreen.

Ein Billett am Automaten, ein Einkauf im Supermarkt: In unserem Alltag hinterlassen wir Spuren, Daten, die irgendwo gespeichert und allenfalls ausgewertet werden. Doch wie lässt sich in der Datenflut die Übersicht bewahren? Und welche Instrumente helfen, um aus vorhandenen Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen?

Als vor rund 30 Jahren die ersten Personal Computer auf den Markt kamen, verfügten diese über einen Speicherplatz von 10 Megabyte. Dies entspricht ungefähr der Datenmenge zweier hochauflösender Digitalfotos. Festplatten heutiger Heimcomputer sind in der Regel 500 Gigabyte gross oder noch grösser, bieten also mindestens 50'000mal mehr Platz. Und dieser Platz ist notwendig, betrachtet man den Zuwachs an Daten, die laufend entstehen. Laut Schätzungen von Experten der IBM werden weltweit täglich 15 Petabyte (15 Mio. Gigabyte) an neuen Daten gespeichert. Würde man alle vorhandenen Daten in Büchern festhalten, reichte der Bücherstapel von der Sonne zum Pluto und zurück.

Daten, Daten, Daten

Was sich im Umgang mit Daten deutlich verändert hat, ist deren Verfügbarkeit und Analyse. Daten werden heute in Echtzeit gesammelt und sind jederzeit abrufbar. So kontrolliert beispielsweise der Grossverteiler Migros den Warenfluss seiner 70'000 Paletten, die täglich unterwegs sind, in Echtzeit. Wetterdienste zeigen aktuelle Gefahren wie Gewitter oder Stürme in Echtzeit an. Die Verkehrspolizei registriert und speichert mittels Kameras das Verkehrsaufkommen an neuralgischen Punkten und kann Stauwarnungen im Minutentakt aktualisieren – die Liste von Anwendungsgebieten liesse sich beinahe beliebig weiterführen.

Heisse Diskussionen entstehen immer dann, wenn es um die Fragen des Datenschutzes und der Privatsphäre geht. Wollen wir mit Google Streetview eine Stadt virtuell erkunden können oder ist uns die Privatsphäre betroffener Anwohner wichtiger? Datenschutz ist ein zentrales Thema, das die öffentliche Hand, Privatunternehmen und jeden Einzelnen beschäftigen muss. Der Bund hat vor zwei Jahren reagiert und ein neues Datenschutzgesetz eingeführt, das insbesondere bei der Verarbeitung von Daten mehr Transparenz vorschreibt. „Doch nationale Regelungen alleine genügen nicht, um die Daten besser zu schützen. Dazu braucht es Lösungsansätze auf internationaler Ebene“, sagt der eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür zur aktuellen Situation.

Auch wenn einem ob der unschönen Vision des gläsernen Menschen die Lust auf den „Datenkosmos“ vergehen könnte, zeigt die Realität, dass der Grossteil der Wirtschaft ohne Daten arg ins Stottern geraten würde. Um die technische Verfügbarkeit von Daten zu erhöhen, hat sich in jüngster Vergangenheit das so genannte Cloud Computing durchgesetzt. Dabei werden Daten auf Servern verteilt und über ein Netzwerk zur Verfügung gestellt. Dies gewährleistet einen ortsabhängigen Zugriff und verhindert Synchronisierungsprobleme. Wer die Vorteile von Cloud Computing im privaten Umfeld nutzen möchte, ist beispielsweise mit dem Online-Speicherdienst Wuala gut bedient. Entwickelt von ETH-Studenten, verschlüsselt Wuala Dateien und speichert sie online. Somit lässt sich ein und dasselbe Dokument in der Schule oder zuhause abrufen. Da die Verschlüsselung immer auf dem lokalen Rechner stattfindet, ist der Zugriff sicher.

Ich verstehe, was ich sehe

Um im rasant wachsenden Datenmeer nicht unterzugehen, ist die Forschung auf zwei Ebenen gefordert: Einerseits müssen Suchalgorithmen noch schneller und treffsicherer werden, anderseits sind geeignete Darstellungs- und Visualisierungsformen gefragt. Ein Spezialist auf dem zweiten Gebiet ist Remo Burkhard, der an der ETH das „Value Lab“ aufgebaut hat. Burkhard hat Architektur studiert und über Visualisierung von Daten und Wissen doktoriert. „Das Value Lab entspricht unserer Vorstellung des Hörsaals der Zukunft“, sagt Burkhard. Wandtafeln oder Flipcharts fehlen gänzlich. Stattdessen hängen drei grosse Bildschirme an der Wand. Der Tisch in der Mitte des Raumes ist mehr als eine gewöhnliche Arbeitsfläche. Darin integriert sind zwei weitere Touchscreens, die es Gruppen erlauben, gemeinsam daran Inhalte zu bearbeiten. „Verbunden mit einem leistungsstarken Rechner visualisieren wir so grosse Datenmengen. In der Forschung, im Unterricht und beispielsweise auch in Planungsgesprächen können verschiedene Programme nebeneinander aktiviert oder Varianten verglichen werden“, erklärt Remo Burkhard. Gewährleistet ist dabei auch die Übertragung in Hörsäle oder die Kommunikation mit Forschern am anderen Ende der Welt.

Erfolg hat Burkhard vor allem mit einer Software, die für das Risiko Management konzipiert ist. Das Programm „Risk Manager“ stellt mögliche Risiken für ein Unternehmen in Form von Eisbergen dar, die Beteiligten können am Touchscreen diese Risiken gemeinsam einschätzen, platzieren und abwägen. „Wir haben das Symbol des Eisberges gewählt, weil dieses sehr eingängig ist und Gefahr gut symbolisiert“, erläutert Burkhard. Microsoft Schweiz hat „Risk Manager“ im Oktober mit dem zweiten Platz am Swiss Silverlight Award ausgezeichnet.

Burkhard ist überzeugt, dass Visualisierungen der Schlüssel für die Zukunft sind; gerade im Hinblick auf die Datenberge, die es zu meistern gilt. Überhaupt verfechte er den Ansatz der Bildsprache, sagt Burkhard. „Eine visuelle Umsetzung, die im richtigen Zusammenhang verwendet wird, ist aussagestärker als ein ausgeklügelter Text.“ Die Nähe zur Didaktik, die Burkhards Arbeit der visuellen Wissensaufbereitung und –vermittlung aufweist, konnte er in einem anderen Projekt konkretisieren. In seiner unternehmerischen Tätigkeit als Geschäftsführer von vasp, einem Zürcher Unternehmen für Design und Visualisierung, hat er mit seinem Team für das Biologie-Lehrmittel „Markl Biologie“ des Klett-Verlags 400 wissenschaftliche Illustrationen entwickelt.

Datenjäger und –sammler Nr. 1

Geht es um’s Sichtbarmachen von Daten im Internet, ist Google der uneingeschränkte Suchmaschinen-Primus. Die Zahlen, die das Unternehmen aus dem kalifornischen Mountain View offenlegt, verdeutlichen dessen Marktmacht: 1 Billion Webseiten sind von Google indiziert, 80% aller Suchanfragen im WWW richten sich an Google, täglich 2,5 Milliarden. Google betreibt weltweit 36 Rechenzentren. Mittelgrosse Fabriken, die gesamthaft über eine Million Server beheimaten.

Um in der Masse von Websites relevante Informationen aufzuspüren, bewertet Google Internetauftritte nach über 200 Kriterien. Wie alt ist eine Website? Wie viele Links verweisen auf sie? Wie oft wird sie geändert? Enthält der Titel eines Eintrages Schlüsselwörter? Wie oft wurde die Website bisher besucht? Diese und weitere Informationen speichert und aktualisiert Google, um jede Suchanfrage innerhalb einer halben Sekunde beantworten zu können. Im Suchmaschinenmarkt list Google kein Konkurrent gewachsen. Zu gross ist der Vorsprung in der Technik und der Infrastruktur.

Doch Kritiker werfen Google vor, über Gebühr Benutzerdaten zu sammeln. So erfasst und speichert Google beispielsweise zu jeder Suchanfrage die IP-Adresse. Auch die von Google eingesetzten Cookies sind strittig. Ein Cookie erlaubt es Websites, auf dem Computer des Anwenders Informationen zu hinterlegen und diese beim nächsten Besuch der Website abzurufen. Google vergibt mittels Cookie jedem Browser eine eindeutige und über 30 Jahre gültige Nummer. Damit lässt sich über einen langen Zeitraum mitverfolgen, welche Suchanfragen jemand auslöste und welche Vorlieben jemand hat. Da man Cookies löschen kann, schätzen IT-Experten Googles Praktik aber nicht als heikel ein.

Andres präsentiert sich die Situation bei den personalisierten Diensten, mit denen Google das digitale Leben erleichtert: ein E-Mail-Postfach, einen Terminkalender, digitale Routenplanung und vieles mehr. Hier protokolliert Google bis ins letzte Detail, was die Nutzer tun. So kostenlos die Dienste sind, so klar verknüpft Google damit Geschäftsinteressen. Für mehr Datenschutz  wehren sich vor allem europäische Staaten. In Italien wurden Google-Manager zu Gefängnis auf Bewährung verurteilt, weil Turiner Schüler ein Video auf Google publizierten, in dem ein behinderter Jugendlicher misshandelt wurde. Spanien setzte für Facebook kürzlich das Mindestalter von 14 Jahren fest. Die Frage des Daten- und Persönlichkeitsschutzes im Internet werden den politischen Diskurs auch künftig antreiben.

 

Weiter im Netz

www.edoeb.admin.ch

Der Internetauftritt des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten

 

www.wuala.ch

Ein Online-Speicher, der 1 GB freien Speicherplatz zur Verfügung stellt.

 

www.dropbox.com

Online-Datensicherung und Synchronisation in einem Webdienst

 

www.valuelab.ethz.ch

Der Lehrstuhl für Informationsarchitektur der ETH Zürich

 

www.googlewatchblog.de

Ein unabhängiger Blog, der die Entwicklung von Google beobachtet

 

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