Ein Sommernachtstraum am helllichten Tag

15. März 2012

Handwerker, Elfe oder Kobold? Die Jugendlichen setzen sich mit ihrer Rolle im «Sommernachtstraum» auseinander.

Bühnenluft schnuppern und Musikern über die Schultern blicken: Mit Workshops und Schulkonzerten setzt das Lucerne Festival einen neuen Impuls in der klassischen Musikvermittlung.

„Ich begrüsse Sie, Königin Samira.“ „Ich begrüsse Sie, König Manuel.“ „Ich begrüsse Sie, Königin Jasmin.“ Mit vagen Blicken heben die Königinnen und Könige ihre Häupter, bewegen sich aufeinander zu und geben den Gruss weiter. Gelegentliches Kichern begleitet die Begrüssungsfloskeln, ansonsten ist es still im Raum. Spannung, was jetzt bevorsteht, und auch ein wenig Unsicherheit über die eigene Rolle sind spürbar. Die Königinnen und Könige, das sind Schülerinnen und Schüler der Oberstufe Hochdorf, ihr Hof ist das Kunst- und Kongresszentrum Luzern. Geschmückt mit Kronen haben sie soeben den Workshop zu Benjamin Brittens Oper „A Midsummer Night’s Dream“ in Angriff genommen. Britten hat diese Oper 1960 zu Shakespeares Bühnenstück „Ein Sommernachtstraum“ geschrieben und damit Erfolge gefeiert. Musikalisch von einer abstrakten Leichtigkeit durchzogen, schuf Britten in diesem Dreiakter vor allem dank der ungewohnten Instrumentierung eine eigene Klangwelt, die das träumerische Element der Geschichte hervorhebt. Im Rahmen des Lucerne Festivals kam „A Midsummer Night’s Dream“ im Herbst 2011 am Luzerner Stadttheater zur Aufführung. In Workshops für Schulklassen wurde das Oeuvre auch einem jungen Publikum zugänglich gemacht.

Vom Workshop ....

Inzwischen haben die Hochdorfer Oberstufenschüler auf ihren Stühlen Platz genommen und machen sich daran, Stichworte zum Stück zu sammeln und sich mit einzelnen Rollen auseinanderzusetzen. Handwerker, Elfen, Kobolde, Könige: Im Sommernachtstraum prallen unterschiedliche Wesen, unterschiedliche Sprachwelten aufeinander. Mithilfe kurzer Textbausteine aus dem Libretto nähern sich die Jugendlichen den Figuren an. Geleitet wird der Workshop von Johannes Fuchs und Masterstudierenden der Zürcher Hochschule der Künste. Johannes Fuchs ist bei Lucerne Festival seit Januar 2011 für die Kinder- und Jugendprogramme verantwortlich. Lucerne Festival hat dazu eigens den Bereich „Young“ geschaffen. Rund 60 Schulklassen haben vergangenen Sommer Konzerte und Workshops besucht. Im Vordergrund steht für Johannes Fuchs immer die direkte Erfahrung der Musik. „Jugendförderung nimmt bei Lucerne Festival einen wichtigen Stellenwert ein“, erklärt Fuchs. „Es ist unser Ziel, dass wir altersgerechte Zugänge zur Musik schaffen und der vermeintlichen Schere zwischen E- und U-Musik entgegenwirken.“

Sei es ein Perkussionsworkshop, eine Liedklasse in einer Sonderschule oder ein szenisches Schulkonzert im Konzertsaal des KKL mit einem Brass-Ensemble: Das Angebot ist breit gefächert und Johannes Fuchs ist bestrebt, über Workshops und Konzertbesuche hinaus auch längerfristige Projekte mit Schulen anzugehen. Ihm schwebt vor, in den kommenden Jahren vermehrt Produktionen anzuleiten, die Jugendliche mit einbeziehen. „In unseren Konzerten stehen oft Themen im Vordergrund, die auch Kinder und Jugendliche ansprechen. Hinzu kommt, dass die Sehnsucht nach einem unverwechselbaren Live-Erlebnis merklich zunimmt. Das mediale Umfeld der Jugendlichen lässt heute Vieles zu, aber die emotionale Kraft einer Opernaufführung oder eines Konzerts bleiben unerreicht“, sagt Johannes Fuchs. „Beim kommenden Festival im Sommer haben wir drei Stücke für Primarschulen im Programm. Bei den Sinfoniekonzerten ist auch Spielraum vorhanden, um auf Anfragen von Lehrpersonen einzugehen.“ (Details zum Programm im Infokasten)

... über die Proben ...

In ihrem Workshop sind die Schülerinnen und Schüler aus Hochdorf mittlerweile in der szenischen Arbeit gelandet. Ausgerüstet mit Rollenkarten, auf denen die jeweiligen Charaktere beschrieben sind, treten sie vor die Gruppe und stellen ihre Figur in einem Satz vor. Dazu hören sie einen passenden Ausschnitt von Brittens Musik und versuchen, diese mit der Rolle zu vergleichen. Am Morgen vor dem Workshop besuchten sie den Probebetrieb des Luzerner Theaters und konnten hinter die Kulissen der Oper „A Midsummer Night’s Dream“ blicken. Requisiten, Kostüme, Bühnentechnik, Maske: Ein für viele ungewohntes und spannendes Umfeld. Oder wie Isabelle Forster, 14 Jahre alt, es ausdrückt: „Ich habe gestaunt, welche Arbeiten hinter der Bühne stattfinden und welche Berufe hier gefragt sind.“ Überhaupt seien es viele Eindrücke gewesen, die sie von diesem Tag mitgenommen habe.

Für die Sekundarlehrerin Franziska Erni bot der Workshop zu Brittens Oper eine perfekte Gelegenheit, um mit Jugendlichen einen Einblick in Musik und Schauspiel zu erhalten. „Wir führen in Hochdorf auf der zweiten Oberstufe jedes Jahr eine Kulturwoche durch, und mir liegt viel daran, mit den Jugendlichen vor Ort Kulturaufführungen zu besuchen und mitzuerleben“, sagt Franziska Erni. „Die Wahl fiel zufällig auf Brittens ‚A Midsummer Nights Dream’, es war das Angebot, das am besten in unseren Terminkalender passte.“ Bezahlt gemacht hat sich aus ihrer Sicht vor allem die Kombination zwischen Workshop, Führung im Theater und freiwilligem Opernbesuch am Abend. „Der Opernbesuch hat zusammengeführt, was in der Theaterführung am Morgen und im Workshop zur Sprache kam. Bei einem nächsten Mal würde ich diesen als verpflichtend empfehlen.“

Da die Hochdorfer Schülerinnen und Schüler während ihrer Kulturwoche nicht wie gewohnt im Klassenverband, sondern in Interessensgruppen zusammenarbeiteten, war es für Franziska Erni nicht möglich, den Sommernachtstraum über längere Zeit im Unterricht zu vertiefen. Sie hofft vielmehr, mit diesem Input im kommenden neunten Schuljahrs etwa auslösen zu können. Der Kanton Luzern kennt im neunten Schuljahr das Schulfach Projektunterricht. Dieses ermöglicht Jugendlichen, in der Schule eigene Ideen und Projekte umzusetzen. „Es wäre schön, wenn im Projektunterricht allenfalls Ideen in Richtung eines Abschlusstheaters oder eines Musicals entstehen. Hierzu haben der Workshop und der Opernbesuch sicher Inspiration geliefert.“

... bis zur Aufführung

In festlicher Garderobe treffen die Jugendlichen abends im Foyer des Luzerner Theaters ein. Rund ein Drittel der Gruppe will sehen, wie die Profis Brittens Werk umsetzen. „Es wurde zwar auf Englisch gesungen, und auch wenn man nicht alles verstand, war es doch einfach der Handlung zu folgen“, sagt die Schülerin Mirjam Rieder. „Einerseits halfen die Texteinblender, anderseits kannten wir die Geschichte bereits gut.“ Für sie war es der erste Opernbesuch, aber sicher nicht der letzte. „Als ich nach ‚A Midsummer Nights Dream’ nach Hause kam, fragte ich meine Eltern als erstes, wann wir das nächste Mal ins Theater oder in die Oper gehen werden.“ Beeindruckt habe sie im Besonderen, mit welcher Vorstellungskraft man als Schauspieler arbeiten müsse, um sich in die jeweilige Rolle hinversetzen zu können. Diese Erfahrung würde sie gerne selber vertiefen. „Wieso nicht in einem Abschlusstheater im nächsten Jahr? Vorstellen könnte ich mir das gut“, führt Mirjam Rieder aus.

Auch Isabelle Forster hat die Aufführung im Luzerner Theater mit Vergnügen mitverfolgt. „Der Opernbesuch hat gezeigt, wie viel es braucht, damit alles perfekt klappt. Nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne.“ Sie habe aber während der Kulturwoche auch gemerkt, dass es ihr nicht so liege, selber in eine andere Rolle zu schlüpfen und vor Publikum zu spielen.

„Glänzen in den Augen“

Eine Kombination zwischen Workshop und Opernbesuch, wie sie die Schülerinnen und Schüler aus Hochdorf erlebten, entspricht ganz der Idee von Johannes Fuchs, Musikvermittlung interdisziplinär anzugehen. „Es gibt viele Musikerinnen und Musiker, die mit grossem Interesse mit Kindern zusammenarbeiten und neue Formate ausprobieren wollen. Diese direkte Kommunikation führt zu einem befruchtenden Austausch, der in einer klassischen Konzertsituation so nicht möglich ist“, erklärt Johannes Fuchs.

Wie vielversprechend neue und auf den ersten Blick ungewohnte Ansätze sind, beweisen Initiativen rund um den Globus. Bekannt sind Projekte mit klassischer Musik an sozialen Brennpunkten, sei dies in Lateinamerika oder im Berliner Stadtteil Neukölln. So hat der Dirigent José Antonio Abreu vor 30 Jahren in den Slums von Caracas ein staatlich finanziertes Orchesterprojekt mit inzwischen 300'000 Mitgliedern ins Leben gerufen. Wie die Musik es in dieser schwierigen Umgebung schafft, Kinder aus notleidenden Familien von der Strasse zu holen, zeigt der Dokumentarfilm „El Sistema“ auf beeindruckende Art und Weise. Einer, der seine Karriere dort lancierte, ist der Stardirigent Gustavo Dudamel: Er fand Platz in Abreus Projekt und leitet heute das Los Angeles Philharmonic Orchestra. Im deutschsprachigen Raum haben sich 2007 Musikverbände zusammengeschlossen und das Netzwerk „junge Ohren“ gegründet. Mit dem Hauptaugenmerk, sich besser auszutauschen und zu vernetzen, will „junge Ohren“ der Musikvermittlung in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland zu mehr Beachtung verhelfen.

Letztlich geht es für Johannes Fuchs in seiner Arbeit um die Momente, in denen „das Glänzen in den Augen“ erkennbar wird; wenn junge Festivalbesucher sich von einer Geschichte oder von der Musik fesseln lassen und förmlich in ihr aufgehen. „Wir wissen, dass unsere Ohren in jungen Jahren anders ‚hören’, sie lassen sich stärker überraschen und herausfordern. Hier kann Musik ansetzen und neue, kreative Zugänge eröffnen.“

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