Digitale Lehrmittel als Flatrate-Angebot: Ein Szenario im Bericht “Lehrmittel in einer digitalen Welt”. (Illustration: zVg)
Ein Expertenbericht analysiert, wohin sich digitale Lehrmittel in der Schweiz entwickeln. Er wird die Diskussion entscheidend prägen.
2025 wird die Lehrmittellandschaft in der Schweiz umgepflügt! Der Bund übernimmt im Projekt ProScoula die Entwicklung von Lehrmitteln und stellt diese gratis zur Verfügung. Für Kantone und Verlage ein konsequenter Schritt auf dem Weg von gedruckten zu digitalen Lehrmitteln.” Ein reelles Szenario? Eine Utopie? Der Mitte November 2018 veröffentlichte Expertenbericht “Lehrmittel in einer digitalen Welt” formuliert sieben Zukunftsszenarien, die plastisch vor Augen führen, was auf die Praxis zukommt. Eine Option sind staatlich finanzierte, frei verfügbare Lehrmittel, umschrieben im Szenario “ProScoula”.
In Auftrag gegeben hat den Expertenbericht die Interkantonale Lehrmittelzentrale ilz. Direktor Marcel Gübeli zeigt sich erfreut über das erste Echo. “Vier Wochen nach der Veröffentlichung verzeichneten wir 4’000 Downloads”, sagt Gübeli. “Wir wussten um die hohen Erwartungen, die vielerorts an diese Arbeit gestellt wurden und wir sind froh, dass sie die verdiente Beachtung findet.”
Vier Stufen zur digitalen Lernumgebung
Der Bericht ordnet den Digitalisierungsgrad von Lehrmitteln auf vier Stufen an: Auf der ersten Stufe steht das herkömmlich gedruckte Schulbuch, auf der zweiten dasjenige mit digitalen Zusätzen. Über das vollständig digital konzipierte Lehrmittel gelangt man schliesslich auf die vierte Stufe, zur vernetzten und adaptiven Lehr- und Lernumgebung. Der Quantensprung erfolgt für Verlage von der zweiten zur dritten Stufe, wenn also bereits bei der Planung klar ist, dass ein Lehrmittel nur digital erscheinen wird. Das verändert den Prozess radikal und bedingt Koordination zwischen den Akteuren: den Kantonen, den Schulen und den Lehrmittelverlagen. Doch im föderalen Schweizer Bildungssystem besteht die Gefahr, dass die digitale Transformation in diesem Bereich zu langsam vorangeht und sich neue Player mit Monopolwirkung etablieren. Dieses Szenario taucht im Bericht unter dem Schlagwort GASS (Google Amazon School Switzerland) auf und lehnt sich an die derzeit verbreitete Plattformökonomie der internationalen Datenunternehmen an.
Wie lukrativ der Lehrmittelmarkt ist, belegen Zahlen. Geschätzte 100 Millionen gibt die öffentlichen Hand jährlich für Lehrmittel in der Volksschule aus. Ein Grossteil davon fliesst zu den drei wichtigsten Verlagen in der Deutschschweiz: Zum Lehrmittelverlag Zürich, zur Klett und Balmer AG und zur Schulverlag plus AG.
Koordiniertes Vorgehen zwingend
Zu den sieben spannenden Szenarien gibt der Expertenbericht konkrete Handlungsempfehlungen ab. Sie betreffen die Politik, die Lehrmittelverlage, die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen sowie die Kantone und Gemeinden als Schulträger. Gefordert sind unter anderem: Die Bildungspolitik evaluiert neue, über Kantonsgrenzen hinaus gehende Finanzierungsmodelle. Sie klärt die rechtlichen Bedingungen für digitale Lehrmittel national. Die Lehrmittelverlage passen ihre Geschäftsprozesse an und bauen Know-how für digitale Medien auf. In der Aus- und Weiterbildung forcieren die Pädagogischen Hochschulen die digitale Kompetenz in der Lehre und setzen digitale Medien ein. Und die Schulen sorgen für flächendeckende 1:1-Ausstattung und mobilen Internetzugang.
Als grösste Herausforderung erachtet Marcel Gübeli die Koordination der nächsten Schritte. “Der Bericht legt dar, dass alle Player in der Verantwortung stehen.” Es gehe darum, Prozesse gemeinsam festzulegen. Diese Arbeit verortet Gübeli auf sprachregionaler oder auf nationaler Ebene. “Die Digitalisierung setzt föderale Strukturen unter Druck. Gewisse Entscheide kann man nicht mit dem Bottom-up-Ansatz jeder Gemeinde, jedem Kanton überlassen.” Es brauche eine übergeordnete Stossrichtung. Nur so könne ein System mit digitalen Lehrmitteln, egal an welches Szenario im Bericht man denke, gut funktionieren.
Diese Einschätzung teilt auch Beat Döbeli Honegger, der den Bericht mit Werner Hartmann und Michael Hielscher verfasst hat. “Es sind systemische Voraussetzungen, die es gemeinsam und gleichzeitig zu lösen gilt. Insbesondere die Gleichzeitigkeit macht es anspruchsvoll”, sagt Döbeli Honegger.
Weitere Reaktionen zum Expertenbericht sind im Frühling zu erwarten. Am 27. März findet dazu eine interne Tagung zu statt, welche die ilz mit der PH Schwyz, der PH FHNW und der NW EDK (Nordwestschweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz) organisiert. Unabhängig davon ist klar: Wer sich zu digitalen Lehrmitteln eine Meinung bilden will, kommt an dieser überaus lesenswerten Grundlage nicht vorbei.
Weiter im Netz
“Lehrmittel in einer digitalen Welt” lässt sich auf der Website der ILZ herunterladen oder in gedruckter Form bestellen.