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1. Juni 2012

Lernsoftware der neuesten Generation, made in Switzerland: wizbee.ch 

Der Sprung vom herkömmlichen Schulbuch zum digitalen Lehrmittel ist ein grosser. Als Zwischenschritt hat sich Lernsoftware etabliert, die ein Lehrmittel ergänzt und vertieft.

Wer an einem Gymnasium in der Romandie Deutsch lernt, dem ist das Grammatiklehrmittel „Im Falle eines Falles“ ein Begriff. Dieser dreiteilige Lehrgang des Klett-Verlags vermittelt das Regelwerk der deutschen Sprache anhand von Übungen und Textbeispielen und kommt an vielen Westschweizer Schulen zum Einsatz. So weit, so normal. Was „Im Falle eines Falles“ zu einem speziellen Lehrmittel macht, ist die zusätzliche Lernsoftware, die Lernende ebenfalls einsetzen können. Der Kopf hinter dieser Entwicklung ist der Lausanner Kantonsschullehrer Silvio Amstad. Er hat den Lehrgang konzipiert und früh versucht, Grammatik- und Wortschatzarbeit mit dem Computer zu unterstützen, damit er im Unterricht stärker auf die kommunikativen Aspekte fokussieren kann. Gemeinsam mit einem Schüler entstand aus dieser Idee ein Computerprogramm, das in diesem Jahr überarbeitet wurde und mittlerweile auch als App für iPad oder iPhone vorliegt (www.imfalle.ch). „Das neue Programm erlaubt den Schülern über 400 Grammatikübungen auf eine spielerische und doch effiziente Art zu bewältigen. Dazu kommen noch etwa 20 Aktivitäten, um einen thematischen Wortschatz von fast 3'000 Wörtern zu lernen und zu wiederholen“, erklärt Silvio Amstad. Mit seinen Klassen ist der Sprachlehrer wöchentlich im Computerraum, wo die Schüler die Grammatik eigenständig aufarbeiten. „Ich habe so viel mehr Zeit, auf einzelne Probleme einzugehen. Diese Art des Grammatiklernens hat sich auch positiv auf die Motivation ausgewirkt.“

„Systeme werden sich angleichen“

Die technische Umsetzung von „Im Falle eines Falles“ hat die Firma Wizbee übernommen, ein Start-Up von ETH-Absolventen, das sich ganz der Lernsoftware verschrieben hat (www.wizbee.ch). An Wizbee beteiligt ist Thomas Lochmatter, ein bekannter Name in der Schweizer Lernsoftwareszene. Seine bisherige Firma LoThoSoft hat seit über 15 Jahren Programme für die Volksschule entwickelt und vertrieben. „Das technische Umfeld hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert, viele Programme von LoThoSoft hätte ich modifizieren müssen, damit sie auf neuen Betriebssystemen laufen“, sagt Thomas Lochmatter. Deshalb habe er sich entschieden, mit Wizbee eine neue Basis zu bilden.

Wizbee ist zuallererst eine Lernplattform, die man kostenlos installieren kann. Die eigentlichen Lerninhalte sind in Module aufgeteilt, welche für die Dauer von einem Jahr abonniert werden. Das Abo für das Modul zum Französisch-Lehrmittel Bonne Chance kostet beispielsweise 29 Franken. In den nächsten Wochen wird Wizbee die Lernstandsynchronisation einführen. Das bedeutet, dass ein Schüler zu Hause, in der Schule oder mit dem iPhone Vokabeln büffelt oder Übungen löst und seine aktuellen Ergebnisse jederzeit abrufen kann. „Im Moment arbeiten etwa 3000 Kinder mit unserer Plattform“, führt Lochmatter aus. Wizbee hat eine Kooperation mit dem Berner Schulverlag plus abgeschlossen, weitere Lernmodule von bestehenden Lehrmitteln sind in Planung.

Den aktuellen Trend hin zu Tablets verfolgt Thomas Lochmatter gespannt mit: „Noch unterscheiden sich die Betriebssysteme der traditionellen Computer und der Tablets stark. Ich gehe aber davon aus, dass hier eine Angleichung stattfindet und es künftig leichter werden wird, Lernsoftware für alle Plattformen anzubieten.“ Und Lochmatter macht einen weiteren Trend aus, der aus seiner Sicht für das computerbasierte Lernen wichtig wird: Tangible Interfaces. Damit sind berührbare Benutzerschnittstellen gemeint, auf welchen man Objekte verschieben kann, um eine Interaktion auszulösen – beispielsweise ein Tisch mit Touchscreenoberfläche. „Mit Tangible Interfaces lassen sich Lernprozesse visualisieren und haptisch nachempfinden, dies erweitert das Lernen am Computer, wie wir es jetzt kennen und birgt grosses Potenzial“, sagt Thomas Lochmatter.

Guter Rat ist ...

Als einer von vielen Playern im Markt der Lernsoftwareanbieter muss sich wizbee.ch gegen diverse Mitstreiter behaupten. Für den Lehrer als Kunden ist die Vielfalt an Produkten einerseits ein Segen, anderseits droht darob die Übersicht verloren zu gehen. Und einen echten Wegweiser, der Lernprogramme über Fächer, Schulstufen und Betriebssysteme hinweg vergleicht und beurteilt, gibt es nicht. Die ehemalige Lernsoftware-Evaluationsdatenbank EvalSoft von educa.ch wird nicht mehr aktualisiert, auch die deutsche Alternative i-CD-ROM hat ihren Dienst eingestellt.

Im Sprachbereich kann die Website medienwerkstatt-online.de als Ankerpunkt gelten, hier werden nach Schulstufe und Themenbereich Lernprogramme aufgelistet. Mit dem Schweizer Schulsystem vertraut ist der Primarlehrer Felix Müller. Er durchforstet die aktuellen Lernsoftwareangebote und vertreibt Produkte, die er für den Unterrichtseinsatz empfehlen kann (www.muelicom.ch). 

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