“E-Book-Reader zu wenig ausgereift”

1. Juni 2015

Mit dem von LerNetz entwickelten Autorentool “LernBuch 3” können Lehrmittel im Browser entwickelt werden (Illustration: LerNetz).

E-Books haben im Bildungsbereich noch nicht Fuss gefasst. Für den flächendeckenden Einsatz braucht es eine Konsolidierung der technischen Standards.

Die Lesegewohnheiten ändern sich. Der Bücherschmöcker von gestern kommt heute auch auf dem Smartphone, dem E-Book-Reader oder dem Tablet zu seinem Lesevergnügen. Auf etwa 6 Prozent schätzte der Schweizerische Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV) den Marktanteil von E-Books 2014. Zum Vergleich: Im angelsächsischen Raum liegt dieser Anteil bei rund 25 Prozent. Im Bildungsbereich fallen diese Zahlen tiefer aus. Beispiele wie Südkorea, das sämtliche gedruckten Schulbücher durch E-Books ersetzt hat oder der Bundesstaat Kalifornien, der mehr aus finanzieller Not denn aus pädagogischer Verve auf E-Books setzt, bilden die Ausnahme.
Für Aufsehen sorgte Apple 2012 mit der Veröffentlichung von “iBooks Author”. Mit diesem Autorentool kann jedermann E-Books gestalten und diese mit interaktiven Elementen wie Fotogalerien, Audiodateien, Filmen oder Quiz anreichern. Gerade dieser Produktionsprozess kommt in der Schule gut an. Lehrpersonen, die “iBooks Author” nutzen, beschreiben die Arbeit als inspirierend und lehrreich. Der Luzerner Lehrer Markus Brügger hat mit einem ehemaligen Schüler das E-Book “Bau dir deine Rakete” erstellt (BILUNG SCHWEIZ  11a/2013).
Laut Apple haben Verlage und Dienstleister aus dem Bildungsbereich bislang 25’000 Lehrbücher im iTunes-Store veröffentlicht. Dazu zählen etwa Cambridge University Press oder Oxford University Press. Deutschsprachige Lehrbücher sind rar. Ein Beispiel mit Schweizer Bezug hat SRF mySchool im vergangenen Jahr vorgelegt: In “Helveticus” setzen sich Kinder und Jugendliche mit der Schweizer Geschichte auseinander und vertiefen zugleich ihren Französisch-Wortschatz. Wer sich  überlegt, im Unterricht mit “iBooks Author” zu arbeiten, findet in mehreren Blogs hilfreiche Einführungen oder Erlebnisberichte (lernen-mit-ipad.ch, ischulbuch.wordpress.com, wordpress.sek-andelfingen.ch).
Ein grosser Stolperstein für multimediale E-Books ist die ungeklärte Frage des technischen Standards. Im Grundsatz orientieren sich alle E-Books am offenen Standard EPUB3, doch in der Detailumsetzung halten sich weder die Autorentools noch die E-Book-Reader vollständig daran. So kann ein mit “iBooks Author” erstelltes E-Book nur auf Apple-Computern abgespielt werden. Und die zentralen Player im internationalen Markt - Google, Amazon, Apple, amerikanische Grossverlage - zeigen wenig Interesse, ihre jeweiligen Ökosysteme zu öffnen und gemeinsam ein Format für multimediale E-Books zu fördern. Hier könnte die Stunde für kleinere Anbieter schlagen, und für HTML5. Denn es ist durchaus möglich, dass sich für multimediale Lehrmittel der Browser gegen die Lesesoftware für E-Books durchsetzt.

Lehrmittelproduzenten sind gefordert
Wohin sich die Entwicklung im internationalen Markt bewegt, ist auch für Schweizer Lehrmittelproduzenten relevant. “Bei E-Books ist die Plattformunabhängigkeit ein zentrales Element. Ein E-Book muss auf allen Geräten und Betriebssystemen genutzt werden können”, sagt Beat Schaller, Leiter Verlagsleiter des Lehrmittelverlags Zürich. “Wir haben im vergangenen Herbst Prototypen auf Basis von EPUB3 getestet und die Möglichkeiten dieses Format ausgereizt. EPUB3 bietet Chancen, die E-Book-Reader sind aber für Mulitmediainhalte noch zu wenig ausgereift. So stellt uns beispielsweise die Anzeige von Bildern auf Android-Geräten vor Probleme. Aus technischer Sicht bringt HTML5 hier Vorteile mit sich.”
Digitale Lernmedien bilden für den Lehrmittelverlag Zürich einen künftigen Schwerpunkt, sie werden von Lehrpersonen mehr und mehr nachgefragt. In den vergangenen Jahren hat man vier zusätzliche Stellen geschaffen. Und um die Entwicklung eng mit der schulischen Praxis abzustimmen, wurden zwei Begleitgruppen gegründet, die sich aus Lehrpersonen der Volksschule zusammensetzen. Diese beraten und evaluieren digitale Produkte des Lehrmittelverlags. Aktuell laufen zum neuen Französischlehrmittel “dis donc” Abklärungen, ob parallel  zum gedruckten Buch ein E-Book erscheinen wird.
Auch die Lernmedienagentur LerNetz beschäftigt sich mit der Frage, in welchen Formaten Lehrmittel künftig nachgefragt werden. Spezialisiert auf interaktive Lernmedien, hat LerNetz Angebote wie die Bodenreise, MoneyFit oder die Schulplattform Oberaargau umgesetzt. Um künftig bei der Herstellung eines Lehrmittels auf die digitale Nutzung zu fokussieren, entwickelt LerNetz nun ein eigenes Autorentool. "LernBuch 3" funktioniert vollständig webbasiert und nutzt die Funktionalität von HTML5. “Nachdem wir uns mit vorangegangenen Produkten nahe am klassischen und gedruckten Schulbuch orientiert haben, machen wir mit ‘LernBuch 3’ einen bewussten Schnitt”, erklärt Raphael Wild, Projektleiter bei LerNetz. “Wir wollen uns vom bisherigen Arbeitsablauf – Manuskript in Word, Layout in Adobe InDesign, Adpation fürs Web als eBook – verabschieden.”
Wer mit "LernBuch 3" ein Lehrmittel herstellt, erfasst und verwaltet sämtliche Inhalte im Browser. Ob am Ende ein gedrucktes Buch, ein Online-Anwendung oder ein E-Book vorliegt, spielt keine Rolle - der Produktionsprozess bleibt der gleiche. Die Entwicklung der Basisversion von “LernBuch 3” ist abgeschlossen, Ende Jahr wird mit dem Projekt luftlabor.ch für die Sekundarstufe I das erste Produkt sichtbar. “LernBuch 3” richtet sich primär an Verlage, Stiftungen oder Bundesämter. Laut LerNetz ist in einem weiteren Schritt auch denkbar, dass Lehrpersonen mit "LernBuch 3" ihre eigenen digitalen Bücher erstellen.

06_2015.pdf (88.08 KB)

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