Lernsoftware mit Lokalkolorit

1. November 2015
Lernsoftware mit Lokalkolorit

Lernsoftware aus der Schweiz kann sich im sprachregionalen Markt behaupten – vor allem dank der Nähe zu den Schulen (Bild: flickr.com/photos/asheshwor).

Der Verein Revoca entwickelt seit 25 Jahren Software für die Volksschule. Wie überlebt ein kleines Non-Profit-Unternehmen im schnelllebigen Softwaregeschäft?

Am Anfang stand eine gemeinsame Idee von Kreuzlinger Lehrern und Schülern. 1990 dachten sie über Möglichkeiten nach, wie sich der Computer – ein damals frischer und exotischer Gast im Schulzimmer – als nützliches Hilfsmittel einsetzen liesse. Ihr Ziel war es, im Unterricht und zugleich zu Hause üben zu können. Auf Basis des damaligen MS-DOS-Betriebssystems wurden erste Richtig-Falsch-Übungen entwickelt, der Grundstein für das Lernprogramm Revoca war gelegt.  
Federführend in dieser Anfangsphase war der heute pensionierte Sekundarlehrer Bruno Dahinden. Er trieb Revoca voran und war mitverantwortlich, dass 1994 der Verein “Revoca Lernsoftware” gegründet wurde. Zu dessen Mitgliedern gehörten unter anderem die Sekundarlehrerkonferenzen der Kantone Thurgau und Zürich, das garantierte eine gute Verankerung in der Praxis. Ein wichtiges Merkmal der Revoca-Lernsoftware war und ist der integrierte Editor. Wer das Programm nutzt, kann seine eigenen Übungen schreiben und zusammenstellen. So entstand mit der Zeit eine ansehnliche Bibliothek an Übungen, die wiederum den Einsatz der Software befeuerte. Aus dem Verein bildete sich ein kleines Unternehmen, geblieben sind bis heute die Non-Profit-Ausrichtung und die Leitung: Sie liegt nach wie vor vollständig in der Hand von Lehrpersonen.

Die Zukunft gehört dem Browser
Revoca konzentriert sich mit seinen Lernpaketen auf die Sprachfächer und die Mathematik. Die Lernpakete für die Sprachen umfassen je zwischen 500 und 1000 Übungen und thematisieren Grammatik, Hören, Lesen, Sprechen, Rechtschreibung und Wortschatz. Schon früh hielten Videosequenzen Einzug. Ab 2006 filmten die für Revoca tätigen Lehrpersonen in Italien, Frankreich und England eigens dafür vorbereitete Szenen mit ansässigen Jugendlichen. Daraus entstanden Übungen zum Hörverständnis, die eine Fremdsprache alltagsnah vermitteln. Für die Primarstufe ist mit “English Primary” seit 2013 ein Lernpaket verfügbar.
“Neben den Protokollen zum Lernstand einzelner Schülerinnen und Schüler enthalten die meisten Übungen neben eigenen Lernzielen auch Angaben zu den Kompetenzen des Lehrplans 21”, sagt Michael Gübeli, seit 2012 Geschäftsführer von Revoca. “Und in den Sprachfächern dient das Europäsiche Sprachenportfolio als Ordnungsstruktur.” Das helfe Lehrpersonen, individuelle Übungspakete zusammenzustellen und so genauer auf einzelne Bedürfnisse eingehen zu können.
Doch auch die technischen Möglichkeiten schreiten unentwegt voran. Mobile Geräte oder Cloud Computing heissen die aktuellen Trends. Hier zahlt sich der Non-Profit-Ansatz von Revoca aus. “Wir können unsere Einnahmen vollumfänglich in die Weiterentwicklung investieren”, erklärt Michael Gübeli. “Nur so bleiben wir attraktiv.” Hauptberuflich ist Gübeli als Oberstufenlehrer im Schulhaus Zil in St. Gallen tätig. Sein Mandat als Geschäftsführer übt er in der Freizeit aus. Auch die weiteren vier Vorstandsmitglieder standen oder stehen noch mit beiden Beinen im Lehrerberuf. Gemeinsam kümmern sie sich um die Entwicklung von Inhalten, die Administration, das Marketing, den Kundenservice, das Testen der Neuerungen und die strategische Konzeption. Die Programmierarbeiten übernimmt eine Zürcher IT-Firma.
Bis und mit der aktuellen Version Revoca 5 setzte die Lernsoftware eine Installation auf dem Computer voraus. Neu ist dieser Schritt nicht mehr nötig. Mit “Revoca online” sind alle Lernpakete bereits heute über den Browser aufrufbar. “Wir haben uns 2013 entschieden, auf eine browserbasierte Lösung zu setzen”, sagt Michael Gübeli. Das entspreche der aktuellen Entwicklung und mache Revoca unabhängiger von einzelnen Geräten. Die Daten, die dabei auf den Revoca-Servern in der Schweiz gespeichert werden, sind nur über verschlüsselte Verbindungen zugänglich, Datenschutz wird gross geschrieben.

Kleine Schritte führen ans Ziel
Zurzeit haben 321 Institutionen eine Revoca-Lizenz gebucht. Darunter sind Kunden wie der Kanton Basel-Landschaft, der Revoca für alle seine Oberstufenzentren einkauft oder kleinere Schulen, die Lernpakete einsetzen. Nicht unerwartet ist die Abdeckung in der Ostschweiz und in Zürich am stärksten. Das Geschäftsmodell setzt sich aus einer jährlichen Schulhauslizenz von 350 Franken für Oberstufen und 250 Franken für Primarschulen sowie 80 bis 100 Franken pro Fachinhalt zusammen. Für das iPad gibt’s eine eigene Bezahl-App. “Wir entwickeln uns in kleinen Schritten vorwärts und konzentrieren uns auf den Deutschschweizer Markt”, bringt Gübeli die wirtschaftliche Positionierung von Revoca auf den Punkt.
Neben Revoca prägen Unternehmen wie Profax, LehrerOffice oder Wizbee die Entwicklung von Lernsoftware in der Schweiz. Eine Ausrichtung auf den sprachregionalen Markt sei sinnvoll, sagt Thomas Lochmatter, Geschäftsführer von Wizbee. Sein Unternehmen hat in der Westschweiz mit der gleichnamigen Lernumgebung in mehreren Kantonen Fuss gefasst und wird von kantonalen Fachstellen oder Schulgemeinden eingekauft. Wizbee ist eine Übungsplattform, die Mathematik und Sprachfächer für die Mittel- und Oberstufe in einer spielerischen Art vertieft. An Deutschschweizer Schulen ist Lochmatter mit LoThoSoft ein Begriff. Obwohl die Entwicklung der LothoSoft-Programme seit 2012 eingestellt ist, erhält Lochmatter nach wie vor Anfragen dazu. “Es überrascht nicht, dass die Schulen die bestehenden Systeme und Softwarelizenen so lange einsetzen. Die Kosten für eine komplette Umrüstung der Geräte oder für die neueste Lernsoftware lassen sich oft nicht mit den reellen Budgets vereinen.” Aus diesem Grund verhält sich Lochmatter mit Wizbee in Deutschschweiz abwartend. “Wir haben die Pläne für die nächsten Entwicklungsschritte in der Schublade, wir möchten die Lernsoftware für den Einsatz im Browser fit machen.” Doch die Finanzierung sei noch nicht bewerkstelligt.
Den App-Markt schätzt Lochmatter äusserst dynamisch und international ausgerichtet ein. 2013 hat Wizbee für das Lehrmittel “Bonne chance” des Schulverlag plus eine Serie von Apps konzipiert. “Es ist nicht einfach, sich im Dschungel der vielen Apps einen Namen zu machen. Grundlegende Lernbereiche wie beispielsweise das Einmaleins gelten global und sind entsprechend oft anzutreffen. Doch für wirklich passende Anwendungen zählen oft lokale Gegebenheiten, die man en détail kennen muss: Schulstrukturen, Lehrpläne, Ausbildungsniveaus.”
1511_1.pdf (301.16 KB)

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