Wer mit dem Lernstick arbeitet, kann an jedem Computer auf seine vertraute Umgebung zugreifen.
Mit dem Lernstick hat die PH FHNW eine personalisierte und mobile Lernumgebung entwickelt. Was leistet dieser „Hosensack-Computer“ im Alltag?
14:30 Uhr, Mathematikunterricht: Roberto startet am Computer seine Lernstick-Umgebung und macht sich mit der Geometriesoftware GeoGebra daran, Dreiecke zu konstruieren. Bei einigen Aufgaben holpert es, am Ende der Lektion ist noch nicht alles vertieft und verstanden. 17:30 Uhr: Roberto sitzt zu Hause und schliesst den Lernstick an seinem Computer an. Er hat die identische Arbeitsumgebung vor sich wie in der Schule und setzt seine Übungen dort fort, wo er zuvor damit aufgehört hat.
Dieses fiktive Beispiel zeigt einen möglichen Einsatz des von der PH FHNW lancierten Lernsticks, einer personalisierten und mobilen Lernumgebung. Projektleiter Ronny Standke, Dozent für Medienpädagogik an der PH FHNW, erklärt: „Beim Lernstick handelt es sich um einen USB-Stick mit Betriebssystem. Damit lassen sich persönliche Daten, Einstellungen oder Programme am Schlüsselbund mitnehmen und an beliebigen Computern aufrufen und bearbeiten.“ Basis des Lernsticks ist ein Linux-Betriebssystem. Beigepackt sind zudem über 100 Lern-, Büro- und Grafikprogramme sowie Multimediaanwendungen, die eines gemeinsam haben: Sie sind Open Source und können lizenzfrei genutzt werden. Aus technischer Sicht verlangt das Aufsetzen eines USB-Sticks und das Einrichten von Computern, damit diese von einem Stick aus starten können, einiges an Know-how. Doch die Vorteile des Lernsticks sind nicht von der Hand zu weisen. „Für Schulen vereinfacht der Lernstick die Wartung der IT-Infrastruktur ernorm“, führt Standke aus. „Der Lernstick braucht als Gaststystem einen Computer, der weder besonders schnell noch besonders konfiguriert sein muss. Hardware-Anschaffungen lassen sich so reduzieren.“ Gleichzeitig verstärke der Lernstick die Chancengleichheit bei den Lernenden, ausserschulisches Arbeiten werde gefördert.
Polyvalenter Einsatz
Seit zwei Jahren betreut und entwickelt Ronny Standke den Lernstick. Dieser ist in seiner Konzeption weltweit einmalig und geht auf Standkes Erfahrungen in der Privatwirtschaft zurück. Aufgrund der breiten Marktpalette an Computern und USB-Sticks sei es nicht möglich, für alle Modelle die Funktionsfähigkeit des Lernsticks zu garantieren. „Bei ganz neuen oder ganz alten Computern kann es sein, dass der Lernstick nicht läuft und Treiber nicht erkannt werden. Wir sind aber laufend daran, dies zu optimieren. Auch bei der Wahl des USB-Sticks gilt es, genau zu überprüfen, ob das Modell den Anforderungen der Lernstick-Installation genügt.“
Die ICT-Fachstelle imedias der PH FHNW bietet auf www.imedias.ch/lernstick eine Übersicht über die technischen Voraussetzungen und hat die wichtigsten Eckdaten in einer Broschüre zusammengestellt (www.bit.ly/gnBUvg). Ebenfalls kann man auf dieser Website die Daten für den Lernstick (Disk-Image) herunterladen. Wer an vorkonfigurierten Lernsticks interessiert ist, findet diese im Educashop für 49 Franken. Seit diesem Frühling unterstützt educa das Lernstick-Projekt und bietet dazu Einführungen und Schulungen an. Briefträgergeografie vertiefen, Texte schreiben, Franzwörtli üben, Kopfrechnen, Grammatik anwenden: Im Unterricht von Matthias Jeker kommt der Lernstick wöchentlich für unterschiedliche Aktivitäten zum Zug. Der Solothurner Primarlehrer nutzt ihn seit mehr als einem Jahr und zieht ein durchwegs positives Fazit. „Die Schüler schätzen es, dass sie in der Schule und zuhause mit der gleichen Umgebung arbeiten können.“ Kompatibilitätsprobleme mit Dokumenten oder fehlende Schriften in Präsentationen seien passé, erklärt Jeker. „Ich werde auch mit meiner nächsten Klasse auf den Lernstick setzen, da er den ICT-Einsatz in meinem Unterricht merklich erleichtert.“ Ein Manko sei, dass noch nicht alle Lernprogramme in einer Linux-Umgebung laufen würden, beispielsweise das Lernprogramm zum Französisch-Lehrmittel „Bonne Chance“.
Auch Simon Habegger, Sekundarlehrer und IT-Verantwortlicher in Interlaken, hat den Lernstick mit seiner Klasse getestet. „Die Grundidee ist überzeugend und hat Zukunft, doch die technischen Voraussetzungen halten mich im Moment davon ab, den Lernstick im Unterricht regelmässig einzusetzen“, sagt Habegger. Einige USB-Stick-Modelle von Schülern seien mit der Lernstick-Umgebung nicht zurecht gekommen. Auch beim Arbeiten zu Hause habe es vereinzelt technische Probleme gegeben. „Der erfolgreiche Einsatz des Lernsticks verlangt eine gründliche Einführung der Lehrpersonen, kombiniert mit technischem Support, und eine gute Kommunikation mit den Eltern“, bilanziert Simon Habegger seine Erfahrungen. „Wenn sich die Kompatibilität mit vorhandener Hardware noch verbessert, dürfte der Lernstick ein beliebtes, weil kostengünstiges ICT-Hilfsmittel werden.“ An Fachtagungen wird der Lernstick rege diskutiert. So hat Ronny Standke vergangenen März an der Fachtagung "Personal Learning Environments in der Schule" der PHZ Schwyz den Lernstick präsentiert (Screencast: www.bit.ly/dXqvGDV). Die PH FHNW hat dem Lernstick Anfang März eine Tagung gewidmet und Einblicke in die Praxis geboten. Und am 21. Mai findet am Weiterbildungstag „Open Source Software im Unterricht“ in Zürich ein Workshop zum Lernstick statt (www.ossanschulen.ch).