Die Online-Lerneinheit "Sind denn alle verrückt hier?" zeigt auf, wie Verschwörungstheorien entstehen.
Die Coronakrise löst Angst und Unsicherheit aus: Ein Nährboden für krude Theorien und Verschwörungen. Was kann die Schule entgegensetzen? Kritisches Denken und Medienkompetenz.
Das Setting ist unspektakulär: Ein bleiche Weltkarte an der Wand, eine übergrosse Schreibtischlampe im Hintergrund, davor sitzt Niklas Lotz, ein 20jähriger Youtuber aus Cottbus. Sein Kanal "Neverforgetniki" hat 150'000 Abonnenten, eine stolze Reichweite. In seinen Videos lässt er kein gutes Haar an der deutschen Politik. Er prangert die "Massenmigration“ an, wettert gegen die Medien, gegen die Klimabewegung oder gegen die Seenotrettung. Seine Worte wählt er geschickt. Es gibt keine Ausrutscher, die ihn als rechts oder rechtsextrem outen würden. Selber bezeichnet er sich als konservativ und bürgerlich. Auf seinem Instagram-Kanal folgt Lotz der AfD, der FPÖ und einer Vielzahl rechtsgerichteter Youtuber. Sie alle bewegen sich im Dunstkreis der "Neuen Rechten", einer Bewegung, die sich online eine eigene Medienwelt aufbaut und mit einseitiger und teilweise falscher Information auf ein junges Publikum abzielt. Häufige Themen sind die "eingeschränkte Meinungsfreiheit" oder die "Politdiktatur in Berlin". Dass sie ihre Meinung in einem demokratisch regierten Land frei im Internet verbreiten dürfen und dank der Werbeeinspieler vor ihren Clips gar Geld verdienen, unterschlagen sie geflissentlich.
Das Geschäftsmodell von Youtube
Wer sich Videos von Niklas Lotz ansieht, landet rasch bei Inhalten, die Verschwörungstheorien befeuern. Dafür verantwortlich ist das Geschäftsmodell von Youtube, das uns zwingend bei Stange halten will und pausenlos neue Videovorschläge macht. Die Psychologie spricht vom „Rabbit-Hole-Effekt". Der Begriff geht zurück auf Alice im Wunderland, die in einen Kaninchenbau fällt und in eine völlig andere Welt gerät. Ähnlich geht Youtube vor. In den Empfehlungen tauchen mal für mal neue Videos auf, von denen der Algorithmus vermutet, sie würden uns interessieren. So verdient das Portal Geld. Es zeigt uns Gleiches vom Gleichen. Und da Youtuber gelernt haben, dass sie in diesem Markt mit provokanten und extremen Meinungen hervorstechen, machen sie das Spiel um Klicks und Views mit. Jugendliche müssen lernen, diese Funktionsweise und die damit einhergehende Übermacht an einseitigen Inhalten einzuschätzen und zu durchleuchten.
Dass auch Erwachsene nicht vor tendenziöser Information gefeit sind, zeigen aktuelle Beispiele der Coronakrise. Covid-19 ist wahlweise eine Erfindung des Staates oder es wurde von Bill Gates oder von bösen Mächten in die Welt gesetzt. Der grössere Teil dieser Diskussion findet halböffentlich statt, beispielsweise in Whatsapp- oder Telegram-Gruppen, mit eingegrenztem Radius, ohne störende Widerrede.
Stimmt das?
Aus Sicht der Medienkompetenz bietet die Coronakrise eine Chance. Jugendliche lernen anhand aktueller Inhalte, Quellen zu hinterfragen. Sie untersuchen, ob Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen wurden und analysieren, wie seriös und ausgewogen Nachrichtenquellen und Medienkanäle sind. Dazu liegen viele Online-Materialien vor, der Basler Bildungsserver führt im Beitrag "Verschwörungstheorien und Fake-News" Angebote dazu auf (www.edubs.ch). Grundlage jeder Verschwörungstheorie sind Falschinformationen, neudeutsch Fake News. SRF mySchool greift Fake News in einem Videobeitrag auf und schlägt den Bogen von der Definition über die Arbeitsweise von klassischen Medien hin zur Rolle von Social Media. Dazu gibt es Arbeitsblätter und ein hilfreiches Glossar.
Eine breite Sammlung an Beiträgen und Materialien pflegt die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung (bit.ly/324ebKz). Neben aktuellen Fakten und Verschwörungstheorien zum Coronavirus werden auch Methoden und Materialien vorgestellt. So liegt zur Frage der Chemtrails die digitale Lerneinheit "Sind denn alle verrückt hier?" vor. Hier begeben sich Schülerinnen und Schüler der Oberstufe auf eine virtuelle Erkundung und interviewen ihren Nachbarinnen Frau Kern, Frau Schmidt und Miriam. Dabei müssen sie beurteilen, welche Informationen richtig und welche falsch sind und wie aus Fake News eine Verschwörungstheorie wird (bit.ly/2EbiLhS).
Während einzelne Falschmeldungen nach einer Gegendarstellung oft aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden, halten sich Verschwörungsmythen hartnäckiger und verbreiten sich über einen langen Zeitraum. Und auch wenn der Eindruck entstehen könnte, sie seien erst mit dem Aufkommen des Internets populär geworden, waren sie schon immer Teil einer Gesellschaft. So beschuldigte man in Europa während der grossen Pestepidemien im 14. Jahrhundert Randgruppen, meistens Juden, sie hätten die Brunnen vergiftet und die Seuche verursacht, um Christen zu vernichten. Mithilfe solcher Beispiele lässt sich auch eine historische Linie im Umgang mit Informationen und Verschwörungstheorien nachzeichnen.