Was killt der Filter? – Schulen zwischen Jugendschutz und Medienkompetenz

15. November 2010
Was killt der Filter? – Schulen zwischen Jugendschutz und Medienkompetenz

Wie der Datenflut Herr werden? Diese Frage wird in der Informatik immer zentraler.

Das Internet ist ein offenes Medium – umso anspruchsvoller ist der Umgang damit. Jugendliche bewegen sich dabei in zwei Welten: Wird in der Schule Medienkompetenz thematisiert und der Internetzugang gefiltert, gilt dies im privaten Umfeld nicht immer.

Surfen ist an Schweizer Schulen Alltag. Rund 95% aller Volksschulen nutzen den von Swisscom bereitgestellten Anschluss der Initiative „Schulen ans Internet“. Mit 3,2 Gigabyte an Bandbreite verfügen die rund 6000 angeschlossenen Schulen zusammen über eine Leitung, die einiges erträgt. Zu Spitzenzeiten werden 4’500 Internetseiten pro Sekunde aufgerufen. Michael In Albon, Leiter von „Schulen ans Internet“ und Jugendmedienschutz-Beauftragter bei Swisscom erklärt: „Seit 2007 hat die Internetnutzung stark zugenommen, in den vergangenen drei Jahren hat sie sich verachtfacht.“ Dieser Zuwachs widerspiegelt einerseits die Entwicklung des Internets. Viele Inhalte kommen heute multimedial daher und bringen mehr Daten mit sich. Andererseits belegen diese Zahlen auch, dass Schulen das Internet tatsächlich stärker einsetzen.

Das Schulnetz von Swisscom ist auf mehreren Ebenen gesichert und gegen unerwünschte Inhalte gewappnet. „Wir überwachen den Datenverkehr mit einer Firewall und ermöglichen gleichzeitig mit einem Filter das Sperren von Websites mit unerwünschten Inhalten“, erläutert Michael In Albon. „Die Sicherung der Anschlüsse macht einen Drittel der Kosten von ‚Schulen ans Internet’ aus.“ Wie diese laufend aktualisierten Inhaltsfilter konkret gehandhabt werden, legen die Kantone fest. Sie sind Ansprechpartner für Swisscom und beraten Schulen bei technischen Fragen.

Nur filtern reicht nicht

Im Kanton Aargau kümmert sich Guido Hauller um die Internetzugänge für die Volksschulen. Hauller ist Leiter der Informatik im Bildungs- und Kulturdepartement. Gesamthaft sind an Aargauer Schulen 14'500 Computer am Internet angeschlossen. „Wir haben eine minimale Anzahl an Kategorien von Websites gesperrt. Ausgeschlossen werden Internetadressen, die in einer dieser Kategorie erfasst sind“, sagt Guido Hauller. „Geht es um Gewaltverherrlichung, Pornografie oder Rassismus, dann kommt der Filter zum Zug.“ Zudem empfiehlt der Kanton Aargau den Volksschulen, vor Ort mit einer weiteren Firewall für die Sicherheit innerhalb des Schulnetzes zu sorgen. Dies verhindert unerwünschte Zugriffe von anderen Schulen, die im gleichen Netz angeschlossen sind.

Seit Anfang 2010 bietet Swisscom im Rahmen von „Schulen ans Internet“ neben dem gebräuchlichen Zugang auch höhere Bandbreiten an. Diese basieren auf Glasfaser- oder VDSL-Technologie und erlauben bis zu zehnmal schnelleres Surfen. Bisher haben sieben Kantone Verträge für diese neuen Zugänge unterzeichnet. Vor allem aus Kantonsschulen dringt der Ruf nach schnelleren Internetanschlüssen am lautesten. Der Kanton Schwyz beispielsweise führt die VDSL-Zugänge flächendeckend für die ganze Sekstufe II ein. Die Inhaltsfilterung ist bei diesen Anschlüssen wesentlich intensiver und kostenpflichtig. Schulen, die sich für diese schnelleren Zugänge interessieren, entscheiden selber, ob sie die Firewall und den Inhaltsfilter von Swisscom nutzen wollen. Je nach Bandbreite kostet dies monatlich zwischen 180 und 400 Franken. „Es liegen erste Anträge von Aargauer Schulen für diese schnelleren Anschlüsse vor“, sagt Guido Hauller. „Doch wer bei diesem Angebot auf die Filtervorkehrungen der Swisscom verzichtet, wird von uns verpflichtet, diese eigenständig zu garantieren.“

Für Guido Hauller ist es unumstritten, dass die Internetzugänge in den Schulen geschützt gehören. Weit wichtiger aber sei die Auseinandersetzung mit dem Medium Internet, da ein Filter keine Medienkompetenz vermittle. „Jeder Jugendliche, der ein Smartphone besitzt, trägt das Internet mit sich herum. Der Zugang findet so oder so statt. Doch wer nicht kompetent damit umgehen kann, ist vor bösen Überraschungen nicht gefeit“, erläutert Hauller.

Und der Königsweg?

In die gleiche Kerbe schlägt Michael In Albon. Leistungsfähige Filter und technische Barrieren seien vorhanden, man könne den Zugang zu unerwünschten Inhalten blockieren, doch der Königsweg sei ein anderer: „Die Förderung der Medienkompetenz ist zentral“, sagt In Albon. „Kinder und Jugendliche müssen lernen, wie sie Internet und Handy kritisch und selbstverantwortlich nutzen.“

Ungeeignete Inhalte, missbräuchliche Nutzung, Verschuldungsgefahr, Urheberrechtsverletzungen oder Suchtpotenzial: Die Probleme, die sich Jugendliche im Umgang mit digitalen Medien aufhalsen können, sind bekannt. Und doch stellt In Albon in seiner Arbeit als Jugendmedienschutzbeauftragter fest, dass Lehrpersonen und vor allem Eltern hier Defizite mitbringen. „Lehrpersonen sollten sich ein Bild davon verschaffen, welche Medien Jugendliche konsumieren, in welchen Medienwelten sie sich aufhalten.“ Er ist sich aber auch bewusst, dass für es für Lehrpersonen nicht einfach ist, in der schnelllebigen Welt des Internets stets am Ball zu bleiben.

Swisscom ist deshalb auf verschiedenen Kanälen bemüht, hier unterstützend zu sensibilisieren, sei es mit Informationsveranstaltungen an Elternabenden, Weiterbildungen für Lehrpersonen, Kursen für Erwachsene oder Jugendliche Infomaterial, wie „enter – Ratgeber digitale Medien“. „Man kann nicht alles auf technische Hilfsmittel wie Filter abschieben, sondern sollte sie als Ergänzung zur Medienbildung sehen. Wichtig ist, das Eine zu tun und das Andere nicht zu lassen“, ist In Albon überzeugt.

Doch wie sieht der Alltag in der Schule aus? Peter Streit ist als Oberstufenlehrer und ICT-Verantwortlicher der Stadt Aarau täglich mit Fragen rund ums Internet und der Mediennutzung konfrontiert. „Die ICT-Integration im Unterricht klappt grösstenteils gut. Unsere Computer werden rege genutzt“, beschreibt Streit die aktuelle Situation. Der Kanton Aargau ist einer der Kantone, der ICT nicht in einem Fach verpackt, sondern Informatik und Medienerziehung fächerübergreifend angelegt hat. In den vier Primarschul- und zwei Oberstufenschulhäusern der Stadt Aarau verfügen rund 300 Computer über einen Internetanschluss. Was den Inhaltsfilter und die Firewall von Swisscom betreffe, so seien die Erfahrungen positiv, so Streit. Das Surfen im Internet geschehe darüber hinaus immer betreut. Eine untergeordnete Rolle spielen Smartphones oder Handys, diese sind in der Oberstufe verboten.

Den Bund interessiert’s

Eine grosse Diskrepanz stellt Peter Streit fest, wenn er mit Jugendlichen über deren Medienkonsum zuhause diskutiert. „Nicht wenige haben den Computer zu Hause in ihrem Zimmer und können damit unbesehen im Internet surfen. Teilweise sind es sogar die Jugendlichen, die mehr Know-how mitbringen als die Eltern.“ Nicht ganz unerwartet, aber in doppeltem Sinne tragisch: Gerade in sozial schwächeren Schichten falle diese Tendenz des unbeaufsichtigten Medienkonsums stärker auf. „Ich beobachte auch oft, dass gerade Knaben ihre eigenen ICT-Kompetenzen überschätzen.“ Für Streit gehört es deshalb zu den wichtigen Punkten, die Selbsteinschätzung anzusprechen und mit den Jugendlichen zu diskutieren.

Filter und Verbote sind in den Augen von Peter Streit das falsche Mittel, um unbetreutes Surfen zuhause in den Griff zu kriegen. „Es braucht klare Regeln, die auch gelebt werden und Unterstützung für Eltern, die wenig Erfahrung mit Computern und Internet haben. Filter- oder Sicherheitsprogramme fürs Internet lassen sich immer irgendwie umgehen.„ Ein Mittel der Aarauer Stadtschulen, Eltern hier zu unterstützen, sind Inputs zur Mediennutzung an Elternabenden, die Streit in der Oberstufe macht.

Auch auf Bundesebene werden Schritte hin zu erhöhter Medienkompetenz unternommen. Im Juni hat der Bundesrat das nationale Programm «Jugendmedienschutz und Medienkompetenzen» lanciert. Dieses Programm soll die bestehenden Aktivitäten und Initiativen schweizweit koordinieren und ausbauen. Und die vier grossen Internet-Provider Cablecom, Orange, Sunrise und Swisscom haben sich 2008 ohne gesetzlichen Druck dazu verpflichtet, illegale Websites dauerhaft zu sperren, ihre Kunden aktiv über Schutzmöglichkeiten zu informieren und Jugendmedienschutzbeauftragte zu benennen.

 

Filter, Firewall, Virenschutz

Fachleute bewerten die Kombination von Medienkompetenz und technischen Hilfsmitteln als die beste Basis für einen verantwortungsvollen Medienkonsum. Denn ganz ohne Sicherheitsvorkehrungen im Internet zu surfen, lässt sich mit nackt Radfahren vergleichen. Man fällt auf und ist „Unfällen“ wehrlos ausgesetzt. Laut der Schweizer Melde- und Analysestelle Informationssicherung (MELANI) stehen grosse Unternehmen stärker im Fokus von gezielten Angriffen als Schulen oder private Internetznutzer. So schreibt die Meldestelle in einem Communiqué Anfang November: „Vor allem Fälle von Spionage und gestohlenen Daten stehen im Moment zuoberst auf den Listen der meist begangenen Delikte.“ Auch als einzelner, privater User gilt es, verschiedene Grundsätze zu beachten, um nicht blindlings Opfer eines Datenklaus zu werden.

  • Eine Firewall schirmt den Computer in einem Netzwerk, beispielsweise dem Internet, vor Angriffen von aussen ab. Am wirkungsvollsten ist eine Firewall, wenn sie in einem eigenen Router integriert ist.
  • Antivirenprogramme schützen Computer vor Trojanern, Würmern und anderen Schadprogrammen. Ein guter kostenloser Anbieter ist Avira (www.avira.com). Entscheidend ist, Antivirenprogramme stetig zu aktualisieren.
  • Mit Filterprogrammen lassen sich Websites aufgrund ihrer Inhalte sperren (Pornografie, Gewalt usw.). In einem Test der westschweizerischen Konsumentenzeitschrift FRC Magazine schnitten zwei Programme gut ab: Parantal Filter, Version 1.5.8. (Fr. 69.90) und Cyber Patrol Surf Control, Version 7.6 (Fr. 54.30). Apple-Nutzer brauchen keine zusätzliche Jugendschutzsoftware, die im Betriebssystem integrierte Schutzfunktion bewertet das FRC Magazine als gut.

 

Weiter im Netz

www.swisscom.ch/enter

Tipps zur Sicherheit und zum Schutz im Internet, zusammengestellt in den Ratgebern „enter“ von Swisscom

www.klicksafe.de

Die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Internet

www.securityforkids.ch

Ein Angebot von Microsoft Schweiz und Partnern zur Bekämpfung der Online-Kriminalität

www.elternet.ch

Unterstützung für Eltern in der Medienerziehung

www.safersurfing.ch

Ein Infoportal der Schweizer Kriminalprävention

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