„Wiki“ macht auch ohne „pedia“ Schule

1. September 2006

www.glarnerschulen.ch: Ein Tsunami-Beitrag eines Schülers, publiziert im Lern-Wiki.

Die öffentlich verwaltete Online-Enzyklopädie Wikipedia prägt das Internet entscheidend mit. Doch hinter der Idee von Wikipedia steckt mehr als bloss ein Nachschlagewerk: Vom Konzept der Lern-Wikis profitiert auch die Schule.

Der Erfolg von www.wikipedia.org liest sich am eindrücklichsten in Zahlen: Im September 2004 überschritt dieses offene Internet-Lexikon die Grenze von einer Million Artikeln, heute sind es über 4,5 Millionen. Der deutschsprachige Teil von Wikipedia enthält derzeit rund 440 000 Artikel, der englische über 1 250 000 – täglich stossen hunderte neue dazu. Und diese Artikel werden rege gelesen:14 000 Abfragen in der Sekunde (!) treffen auf Wikipedia durchschnittlich ein. Seit der Amerikaner Jimmy Wales 2001 die Online-Enzykolpädie umgesetzt hat, erfreut sich dieses Projekt ungeheuren Zuspruchs. Als Nachschlagewerk, das gratis und mit Internetanschluss sofort verfügbar ist, hat dieses Projekt auch für die Schule einen gewichtigen Stellenwert. Die Verlässlichkeit der Informationen ist – trotz der grossen Anzahl an freiwilligen Autoren – gut. Zumeist werden Fehler oder absichtliche Falschinformationen binnen weniger Stunden korrigiert.

Das Ausmass, das Wikipedia in den vergangenen fünf Jahren erreicht hat, ist jedoch auch ein Nachteil. Ungeübte Nutzer können sich leicht „verirren“, nach einigen vorschnellen Klicks das Gesuchte aus den Augen verlieren. Deshalb entstanden mit dem zügigen Wachstum des Internet-Lexikons viele themenbezogene „Wikis“. Ein Beispiel hierfür ist die Rezeptsammlung http://de.wikibooks.org/wiki/Kochbuch. Unter der Rubrik „Themenportale“ sind auf http://de.wikipedia.org von Geografie über Geschichte bis zu Kunst und Kultur unzählige solcher Bereiche eingerichtet. Dort ist auch ein auf die Interessen junger „Surfer“ zugeschnittenes Portal „Wikipedia für Kinder“ zu finden.

Der Begriff „Wiki“ hat sich mittlerweile in der Internet-Terminologie eingebürgert und steht für Homepages, die von Benutzern nicht nur gelesen, sondern auch geändert und ergänzt werden – ein Aspekt, der für die Schule besonders interessant ist. So kann eine Lehrperson Schülerinnen und Schülern ein eigenes Lern-Wiki einrichten und sie nach einer überschaubaren Einführung in dessen Funktionen damit arbeiten lassen. Die Lernenden geben Informationen ein, suchen und ändern Inhalte. Was einzelne Schülerinnen und Schüler zu einem Thema erarbeiten, lässt sich mit einem Lern-Wiki praktisch vernetzen.

Aufsätze ins Netz

Zu den Pionieren in Sachen Lern-Wikis gehört der Glarner Reallehrer Andres Streiff. Er betreibt unter www.glarnerschulen.ch/wiki.htm ein umfassendes Lern-Wiki für seine Schüler. „Ein Lern-Wiki ist nicht mehr als ein Medium, vergleichbar mit einer Wandtafel“, sagt Streiff. Aber im Gegensatz zur Wandtafel könne das Lern-Wiki über das Schulzimmer hinaus genutzt werden. „Für Schüler ist es motivierender, mit der Öffentlichkeit zu diskutieren, als für die Schublade zu produzieren. Ich habe es erlebt, dass Realschüler bei der Arbeit mit dem Lern-Wiki in einen regelrechten Schreibrausch verfallen.“

Andres Streiffs Schüler veröffentlichen ihre Aufsätze im Lern-Wiki, ohne dass der Lehrer die Homepage selber verändern muss. Die Schüler, und das ist ein grosser Vorteil im Gegensatz zu gewöhnlichen Homepages, sind nach wenigen Erklärungen fähig, ihre Wiki-Seiten selber zu bearbeiten; mit Hilfe eines Browsers wie Firefox, Internet Explorer oder Safari, ohne zusätzliche HTML-Kenntnisse.

Auf der Homepage www.lernklick.ch/wiki.htm hat Andres Streiff Tipps im Umgang mit Lern-Wikis und Beispielarbeiten zusammengestellt. Eine gute Übersicht zur Verwendung von Lern-Wikis bietet zudem www.schulwiki.org. Auch der Internetauftritt http://www.plasticthinking.org/wiki/LernWiki des Österreichers Stephan Mosel führt umfassend in die Arbeit mit Lern-Wikis ein. Die Deutsche Zentrale für Unterrichtsmedien betreibt unter www.zum.de/wiki ein Wiki mit vielfältigen Angeboten für Lehrpersonen.

Nicht ganz ohne Technik

Ist die Handhabung eines Lern-Wikis laut Andres Streiff „innert fünf Minuten lernbar“, braucht es jedoch etwas mehr Aufwand, die passende Server-Software für ein Wiki zu finden. Es gibt Online-Anbieter, die gratis ein Wiki-System zur Verfügung stellen, etwa www.wikihost.org. Aber Andres Streiff wendet ein: “E-Learning hat in der Praxis nur eine Chance, wenn die Technik in den Hintergrund tritt.“ Eine perfekte Einrichtung sei das A und O für ein erfolgreiches Wiki.

Massgeschneiderte, deutschsprachige Lösungen für Schulanforderungen bietet www.wikiservice.at, allerdings nicht kostenlos. Einen Vergleich gängiger Wiki-Lösungen verschafft http://www.wikimatrix.org, während auf http://www.mediawiki.org Tipps für Informatikverantwortliche zum Installieren eines Wiki-System auf dem eigenen Server verfasst sind. Als einfachste Lösung erachtet Streiff das Angebot vom Bildungsserver „Educa“. Auf www.educanet2.ch können sich Lehrpersonen kostenlos ein in seinen Funktionen eingeschränktes „Schulzimmerwiki“ einrichten lassen. „Leider entspricht dieses Angebot aber nicht ganz der Wiki-Philosohpie. Zugang erhält nur, wer ein Passwort hat.“

 

Hinweis: Am 26. und 27. September 2006 findet im Hauptgebäude der Universität Bern die Fachtagung „ICT und Bildung“ der SIFB (Schweizerische Fachstelle für Informationstechnologien im Bildungswesen) statt. Andres Streiff ist einer der Referenten an dieser Tagung. Er wird seine Erfahrungen mit Lern-Wikis in der Schule erläutern.

 

9_06_Wiki.pdf (593.86 KB)

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