„Schulen sollen mit Daten eigenverantwortlich umgehen“

1. Februar 2019
„Schulen sollen mit Daten eigenverantwortlich umgehen“

An den Schulen der Stadt Bern kommen künftig 7‘700 iPads mit Open-Source-Anwendungen zum Einsatz. (Bild: zVg)

Open-Source-Software verspürt im Zug der aktuellen Datenschutzdebatte Aufwind. Die Schulen der Stadt Bern gehen mit einem umfassenden Projekt voran.

Wie viel Open Source verträgt die Bildung? Es gibt interessante Projekte –  gerade für Schulen – und doch nur wenige kommen im Schulzimmer an. Oft ist es die Unsicherheit, eine gewohnte IT-Umgebung zu verlassen, manchmal auch der Ruf, dass nur Nerds mit Open Source glücklich werden. In der Stadt Bern haben diese Vorurteilen nicht verfangen. Die Bevölkerung hat im November 2018 mit deutlicher Mehrheit 24,5 Millionen Franken für das Schulinformatik-Projekt "base4kids 2" gesprochen (base4kids.ch). Damit stehen den drei Zyklen der Volksschule ab nächstem Schuljahr 7'700 neue Tablets und eine Lernplattform zur Verfügung. Was "base4kids 2" kennzeichnet, ist der Fokus auf Open-Source-Software.
So setzt man weder auf Office365 noch auf Google Classroom. Es kommen Open-Source-Anwendungen zum Einsatz, die auf Servern der Stadt Bern laufen. Die Schule behält die Datenhoheit. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten künftig mit Libre Office und Collabora, um gemeinsam Texte zu schreiben. Austauschen können sie ihre Dokumente mit der Cloud-Lösung Nextcloud. Sie nutzen Moodle oder Mahara für Lerninhalte. Und wenn es um Kurznachrichten oder Mails geht, kommunizieren sie mit Kolab oder Mattermost.
David Grolimund ist beim Stadtberner Schulamt als Projektleiter verantwortlich für "base4kids 2". "Wir haben vor drei Jahren mit der Planung begonnen, da Hard- und Software der ersten Version ersetzt werden müssen", sagt Grolimund. Dabei habe man bei der Ausschreibung den Grundsatz „Pädagogik vor Technik“ verfolgt. "Wir definierten als erstes die Anforderungen der Schule. Es ging nicht darum, bestehende Produkte zu sondieren, um dann zu überlegen, wie sich diese allenfalls für den Unterricht eignen könnten", erklärt Grolimund. Der Sieger dieser öffentlichen Ausschreibung, die Firma Abraxas, verfolgt einen starken Open-Source-Ansatz, wie es die Politik in der Stadt Bern auch fordert. Grolimund begrüsst dies, er erlebt insbesondere die Zusammenarbeit mit den Open-Source-Anbietern als positiv. "Wir stossen auf offene Ohren und können Einfluss auf die Produkte und deren Look und Feel nehmen. Diese Flexibilität hilft uns, die Bedürfnisse der Schule ernst zu nehmen."

Akzeptanz als kritischer Erfolgsfaktor

Dabei ist man sich beim Schulamt bewusst, dass ein Wechsel weg vom gewohnten Umfeld nicht per se auf Gegenliebe stösst. "Die angekündigte Umstellung führte zu kritische Fragen der Lehrpersonen. Werden meine bisherigen Dokumente auch im neuen System korrekt angezeigt? Kann ich meine Programme weiter einsetzen? Es ist unser Ziel, dass der Umstieg möglichst nahtlos geschieht", sagt David Grolimund.
Ab April werden die ICT-Verantwortlichen der Schulen ausgebildet, Lehrpersonen und Schulleitungen steigen im Sommer auf "base4kids 2" um, der Start mit den Klassen erfolgt auf das neue Schuljahr. Geplant ist ein vierjähriger Betrieb, der sich auf maximal sechs Jahre erstrecken lässt. Doch von Kopf bis Fuss in der Open-Source-Welt angekommen sind die Berner Stadtschulen mit "base4kids 2" noch nicht: Als Geräte kommen iPads und damit verbunden das Betriebssystem iOS von Apple zum Einsatz. Abraxas hat sich aufgrund der Anforderungen des Schulamts für diese Gerätepalette entschieden.

Input am Open Education Day

Den aktuellen Stand und die pädagogischen Überlegungen zu "base4kids 2" präsentiert David Grolimund am diesjährigen Open Education Day. Er findet am 6. April an der PH Bern statt. Matthias Stürmer, Vorstandsmitglied von ch-open und Mitorganisator der Tagung, nimmt die gegenwärtige Entwicklung in der Volksschule positiv auf: "Der Lehrplan 21 fördert die digitalen Skills, welche unsere Gesellschaft prägen.“ Er stelle zudem ein wachsendes Bewusstsein der Schulen zum Datenschutz und zu digitalen Plattformen fest. "Die Datenschutzdebatte stärkt autonome IT-Konzepte. Schulen sollen mit ihren Daten eigenverantwortlich umgehen. Hier bieten Open-Source-Lösungen Hand", sagt Stürmer.
Am Open Education Day ermöglichen über 30 Präsentationen und Workshops einen Einblick in Projekte: Zu Wort kommen beispielsweise die interaktive Lernumgebung Nodebot für Robotik, die Initiative Faircomputer oder die neuen Funktionen des Lernsticks. "Die Anzahl der Eingaben hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, gleichzeitig steigen auch die Anmeldungen", sagt Stürmer.
Weitere Informationen zur Tagung sind auf openeducationday.ch zugänglich.

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