Wie verändert die Digitalisierung die Schule? Aus Sicht von Beat Döbeli Honegger werden digitale Kompetenzen wichtiger.
Die Digitalisierung durchdringt unseren Alltag. Beat Döbeli Honegger beleuchtet in seinem neuen Buch, wie sich das auf die Schule auswirkt und was der Leitmedienwechsel bedeutet.
Jeder Schüler erhält täglich einen auf ihn zugeschnittenen Lernplan, erstellt in einem Rechenzentrum in Zürich. Universitäten arbeiten mit Software, die für Studenten die optimalen Fächer ermittelt und gleich die voraussichtliche Abschlussnote prognostiziert. Firmen prüfen Stellenbewerber mittels Computerspielen, um Geschäftsprozesse und -aufgaben zu simulieren. “Das ist die Zukunft des Lernens”, sagen die Verfechter der digitalen Wende. “Das ist der Untergang des humanistischen Weltbilds”, erwidern die Gegner. Wer sich mit der Digitalisierung im Bildungswesen beschäftigt, lernt solche Schwarz-Weiss-Denkmuster rasch kennen. Doch selbst wenn der Computer als binärer Problemlöser nur 0 und 1 kennt, so kennt der Umgang mit ihm im Klassenzimmer glücklicherweise viele Grautöne.
Beat Döbeli Honegger ist mit diesen Grautönen bestens vertraut. Als Professor für Medien- und Informatikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Schwyz begleitet er einerseits die Projektschule Goldau, die 2009 durch ihr iPhone-Projekt für Aufsehen sorgte. Mit aktuellen Initiativen wie “Digitaler Alltag” oder “Brings mIT!” erprobt Goldau das Lernen mit digitalen Medien weiterhin aktiv. Anderseits gehört Döbeli Honegger als Dozent und Referent im deutschsprachigen Raum zu den bekannten und oft zitierten Stimmen.
Um die aktuelle Diskussion einen weiteren Schritt zu versachlichen, legt Beat Döbeli Honegger mit seinem neuen Buch “Mehr als 0 und 1” eine Analyse vor, wo die Schule hinsichtlich der Digitalisierung steht und was auf sie zukommt. Und er macht dies weder mit naiver Euphorie noch mit pauschaler Ablehnung, sondern mit fundiertem Pragmatismus. Das Buch besteht aus zehn kurzen und gut verständlichen Kapiteln, die vom Allgemeinen zum Konkreten, von der Digitalisierung zu den Folgen für die Schule führen. Jedes Kapitel schliesst mit einer Zusammenfassung und mit weiteren Literaturhinweisen. Hilfreich sind zudem die Illustrationen, die sich wie das ganze Buch durch Klarheit und Präzision auszeichnen.
Leitmedienwechsel – und die Schule?
Inhaltlich setzt “Mehr als 0 und 1” beim aktuell stattfindenden Leitmedienwechsel an. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Art und Weise, wie wir Informationen festhalten und verbreiten, grundlegend gewandelt. “Schuld” daran ist der immense Zuwachs an Rechenleistung. Jedes Smartphone bietet heute mehr davon als der NASA-Grossrechner, der 1961 die Apollo 11 sicher zum Mond und zurück gelenkt hat. Der Computer löst das Buch als Leitmedium ab. Döbeli Honegger zeigt auf, dass in den Reaktionen auf diesen Leitmedienwechsel ganze Welt- und Wertvorstellungen zutage treten. Davon ausgehend stellt sich für die Schule die Frage, was Digitalisierung, Automatisierung, Vernetzung und Globalisierung für das Lernen bedeuten. Welche Fähigkeiten müssen Lehrpersonen künftig vermitteln, um Kinder und Jugendliche auf die digitalisierte Welt vorzubereiten? Aus Sicht von Döbeli Honegger sollte eine zeitgemässe Schule auf das nicht Automatisierbare fokussieren: Kreativität, Sozialkompetenz, Kommunikation und, damit verbunden, auch drei digitale Kompetenzen.
Erschienen ist “Mehr als 0 und 1” Anfang März. Mit dem bisherigen Echo ist der Autor zufrieden. “Das Feedback freut mich. Die Rezensionen attestieren dem Buch Prägnanz, Ausgewogenheit und eine gute grafische Gestaltung”, sagt Beat Döbeli Honegger. “Bloss: Die Wahrnehmung findet bislang vor allem innerhalb der Fachcommunity statt. Ich möchte mit dem Buch aber gerade Leute ansprechen, die sich bisher nicht besonders mit dem Thema beschäftigt haben.” Und mit der Form des Buches wolle er auch diejenigen sensibilisieren, die den Wert eines Buches noch schätzten.
Im Unterschied zum klassischen Buch geht Döbeli Honegger aber einen Schritt weiter. Anstelle von gewohnten Fussnoten setzt er Verweise auf das “Biblionetz”, die seit 1996 von ihm betriebene Online-Literaturdatenbank. Dank dieser Online-Verweise lassen sich Inhalte des Buches jederzeit ergänzen oder vertiefen, der Prozess ist nicht abgeschlossen.
Medien, Informatik, Anwendung
Wenn Döbeli Honegger in “Mehr als 0 und 1” drei digitale Kompetenzen postuliert, so bezieht er sich dabei auf folgende Aspekte:
- Wie wirkt das? (Medienkompetenz)
Digitale Medien beeinflussen uns als Individuum und als Gesellschaft. Kinder und Jugendliche müssen die Wirkung von digitalen Medien einschätzen lernen und benötigen Hilfestellung, was beispielsweise die digitale Privatsphäre, das Recht am eigenen Bild oder die Mediennutzung auf dem Schulgelände anbelangt.
- Wie funktioniert das? (Informatikkompetenz)
Wer im Internet nach Informationen sucht, muss Suchresultate nach eigenen Fragestellungen bewerten. Dabei ist es hilfreich, die Funktionsweise von Suchmaschinen zu kennen. Digitale Technologien basieren auf strukturierter und automatischer Informationsverarbeitung. Um diese digitale vernetzte Welt mitgestalten zu können, ist ein solides Grundwissen Voraussetzung.
- Wie nutze ich das? (Anwendungskompetenz)
Als Anwender muss ich entscheiden, welches Werkzeug mir bei welchem Problem hilft. Hierbei soll die Schulen nicht die perfekte Beherrschung einer Software ins Zentrum rücken, vielmehr ist Konzeptwissen gefragt. So bleibt beispielsweise der Aufbau eines Dokuments in der Textverarbeitung mit Zeichen, Absätzen und Gliederungsebenen immer derselbe.
Diese drei Bereiche ergänzen sich gegenseitig und sind in der Informatik- und Mediendidaktik seit einiger Zeit geläufig. Kürzlich wurden sie in der Dagstuhl-Erklärung “Bildung in der digitalen vernetzten Welt” als so genanntes “Dagstuhl-Dreieck” international verankert. Auch der Lehrplan 21 stützt sich im Bereich “Medien & Informatik” auf diese Trilogie ab. Beat Döbeli Honegger war als Mitglied der Projektgruppe an diesem Teillehrplan beteiligt.
WWW - Wille, Wissen und Werkzeuge
Doch wie kommt das Digitale nun in die Schule? Allzu oft zeigt die Praxis, das gut gemeinte Initiativen versanden, sei es weil die verantwortliche Lehrperson nicht mehr da ist oder weil die politische Ebene andere Prioritäten setzt. Döbeli Honegger kennt diese widrigen Umstände, er entgegnet ihnen mit WWW – Wille, Wissen und Werkzeuge. Lehrpersonen müssen auf ihrer Unterrichtsstufe und in ihren Fächern vom Mehrwert digitaler Medien überzeugt sein. Sie benötigen nicht nur technisches, sondern vor allem didaktisches Wissen zum Einsatz digitaler Medien. Und es geht nicht ohne genügend Werkzeuge, digitale Geräte für die Schülerinnen und Schüler. In dieser Frage verweist Döbeli Honegger auf das Konzept “BYOD - Bring your own device”. Damit sei am ehesten möglich, allen Schülerinnen und Schülern mit einem persönlichen Gerät arbeiten zu lassen. Sobald Geräte verfügbar sind, rücken digitale Lehrmittel in den Fokus. Hier streicht Döbeli Honegger drei Potenziale heraus, die ein digitales Schulbuch dem gebundenen voraus hat: Es erlaubt multimediale Inhalte, Interaktivität in Form von Übungen und Schülerbeiträgen sowie Interaktion zwischen Lehrperson, Schülerinnen und Schülern.
Beat Döbeli Honegger erhofft sich mit seinem Buch, dieDiskussion um digitale Medien in der Schule zu beleben. “Angesichts der Bedeutung der Digitalisierung für unsere Gesellschaft wünsche ich mir, dass sich die Verantwortlichen im Bildungswesen differenziert mit dem Thema auseinandersetzen”, sagt Beat Döbeli Honegger. Einen Türöffner dazu hat er mit “Mehr als 0 und 1” vorgelegt. Man darf von einer Pflichtlektüre für Pädagogen, Lehrpersonen und Bildungsinteressierte sprechen.
Mehr als 0 und 1
1. Auflage, 2016, 192 Seiten, ISBN 978-3-0355-0200-8, HEP-Verlag, 29 Franken