Datennutzung in der Schule umfasst viele Fragen: Der Bericht «Daten in der Bildung – Daten für die Bildung» präsentiert dazu einen Rahmen. (Grafik: educa.ch)
Lerndaten von Schülerinnen und Schülern entstehen zunehmend auf digitalen Plattformen. Was soll dabei überwiegen: Der Nutzen, den man aus diesen Bildungsdaten ziehen kann oder ihr bedingungsloser Schutz?
„C’est la rentrée scolaire!": So hat das neue Lehrmittel "dis donc!“ im August die Fünftklässlerinnen und Fünftklässler in Zürich und zehn weiteren Kantonen zum Französischunterricht begrüsst. Viele der Kinder arbeiten auch mit der digitalen Lernplattform des Lehrmittels. Sie lösen Übungen oder Quizaufgaben. All das passiert im Browser, mit den Logindaten gelangt man zum persönlichen Konto. Doch wer hat Zugriff auf diese Lerndaten? Und wo werden diese gespeichert? Nicolas Brandenberg, Leiter Digitale Medien beim Lehrmittelverlag Zürich, erklärt: "Wir gewichten den Schutz persönlicher Daten hoch und speichern Lern- und Nutzerdaten voneinander getrennt, dadurch sind keine Rückschlüsse auf einen Schüler oder eine Schülerin möglich." Die Daten liegen auf Servern in der Schweiz, der Lehrmittelverlag tauscht sich bei Neuentwicklungen vorab mit dem Zürcher Datenschützer aus. „Seit diesem Schuljahr kann eine Lehrperson im Dashboard den Bearbeitungsstand ihrer Klasse sehen. Technisch wäre es ein Leichtes, dort zu dokumentieren, wann genau ein Schüler wie lange an einer Übung gearbeitet hat. Doch wir zeigen diese Informationen bewusst nicht an. Die Lehrperson sieht nicht, ob jemand um 18 oder um 22 Uhr online war, auch zum Schutz der Lernenden. Der Fokus liegt auf den Lernergebnissen", sagt Brandenberg.
Geschäftsmodell Lerndaten
Setzt der Lehrmittelverlag Zürich der Analyse von Lerndaten Grenzen, bildet diese bei anderen Unternehmen das Geschäftsmodell. Um adaptiv auf den Lernprozess eines Schülers einzugehen, wird jeder Klick, jede Interaktion und jede Zeitdauer gemessen, gespeichert und ausgewertet. Adaptive Lernsoftware reagiert auf Nutzerdaten und lässt Algorithmen berechnen, welche Lerninhalte als nächstes passen. Früh in diesen Bereich investiert hat der britische Medienkonzern Pearson. Als marktführernder Schulverlag im englischsprachigen Raum hat das Unternehmen seit 2011 rund 30 Millionen Franken in Software investiert, die Online-Kurse verwaltet und nach indivuellem Lernverlauf kombiniert.
Auch in der Schweiz spezialisieren sich Unternehmen auf Lerndaten. So das ETH-Spinoff "Taskbase", das im Auftrag des Kantons St. Gallen für Gymnasien die Plattform "Lernnavi" entwickelt. Lernnavi ist eine webbasierte Übungs- und Diagnoseplattform für die Fächer Deutsch und Mathematik. Schülerinnen und Schüler lösen Aufgaben, die Software korrigiert. So weit, so klar. Darüber hinaus liefert Lernnavi aber auch personalisierte Rückmeldungen und schlägt niveaugerechte Aufgaben vor. Die Lernplattform soll ab nächstem Schuljahr an St. Gallens Kantonsschulen zum Einsatz kommen.
Bericht soll Diskussion anstossen
Je mehr Daten im Schulumfeld entstehen, desto wichtiger wird der Umgang damit. Was geschieht mit den digitalen Inhalten, die meine Klasse produziert? Welche Informationen erhalte ich als Lehrperson von einer Lernsoftware? Wie können die Schülerinnen und Schüler ihre Lerndaten langfristig sichern und weiterverwenden? Die Diskussion um diese Fragen ist keinesfalls geklärt, vielmehr kommt sie erst jetzt richtig in Schwung. Dafür sorgt der Bericht "Daten in der Bildung – Daten für die Bildung", den die Fachagentur educa.ch Ende August veröffentlicht hat. Der Bericht stellt ein Modell vor, wie sich Bildungsdaten aufbereiten und nutzen lassen. Vertieft beleuchet werden rechtliche Fragen, Aspekte der Informationssicherheit, das Konzept Open Data und was es braucht, damit man Daten austauschen kann. Dabei kommen Lücken und Probleme zur Sprache: So verhindert die verbreitete Skepsis gegenüber digitalen Daten eine erfolgsversprechende Nutzung. Es fehlt es an einem schweizweiten Rahmen, der Sicherheit und Akzeptanz schafft. Es fehlt an einer eigentlichen Datennutzungspolitik in der Bildung. Deshalb sollen sich Bund, Kantone und Gemeinden besser vernetzen und Pilotprojekte fördern. Und aktives Handeln ist laut Bericht dringlich: Andernfalls drohen Datenförderalismus und technische Insellösungen, die Potenzial verspielen. "Daten in der Bildung – Daten für die Bildung" ist auf educa.ch als PDF greifbar.
Rahmenverträge mit Apple und Google?
Was sich an Bildungsmessen und in Gesprächen mit ICT-Verantwortlichen an Schulen zeigt: Für Hard- und Softwareunternehmen ist die Schule ein interessanter Markt. Apple, Google, Microsoft und weitere Anbieter bemühen sich, mit ihren Produkten präsent zu sein. Damit Schulen Software von internationalen Firmen rechtlich abgestützt und zu guten Konditionen einsetzen können, handelt educa.ch Rahmenverträge aus. Mit Microsoft, Univention, Adobe oder neu auch mit Wire bestehen solche Verträge. In Verhandlung sind Entwürfe mit Google und Apple. Während Google mit der "G-Suite for Education" ein Cloudpaket für den Unterricht anbietet, ist Apple mit dem "School Manager" daran interessiert, die Verwaltung von iPads zu vereinfachen. "Die Verhandlungen mit Apple und Google laufen", sagt Simon Graber, der bei educa.ch für die Rahmenverträge verantwortlich ist. "Noch sind aber nicht alle Details ausgeräumt, beispielsweise der Ort der Gerichtsbarkeit. Wir verlangen, dass sich Schulen bei Problemen rechtliches Gehör in der Schweiz verschaffen können. Das ist bei Apple derzeit noch nicht gewährleistet." Bei Google rechnet Simon Graber damit, dass bis Ende Jahr ein Rahmenvertrag vorliegt, der die lizenzkostenfreie so wie die kostenpflichtige Version der G-Suite umschliessen soll.
Microsoft muss nachbessern
Wie wichtig Rahmenverträge sind, zeigt ein aktueller Fall von Microsoft. Im vergangenen Winter deckte eine Untersuchung der niederländischen Regierung auf, dass Microsoft Nutzerdaten aus Office 365 ProPlus sammelt und in die USA sendet. Dies stellte einen Verstoss gegen die Datenschutzgrundverordnung der EU (DSGVO) dar. Konkret flossen sogenannte Telemetriedaten ab, beispielsweise Ereignisse im Textverarbeitungsprogramm "Word": Wie oft drückt jemand die Backspace-Taste? Wie lange ist das Programm geöffnet? Insgesamt verfolgt Microsoft 25'000 solcher Ereignisse. Das Unternehmen will aus diesen Nutzerdaten ableiten, ob sich die Software in der Praxis bewährt oder ob Anpassungen nötig sind. Nach der Veröffentlichung der holländischen Studie reagierte Microsoft. Mit der aktuellen Version von Office 365 ProPlus können Systemadministratoren das Telemetrie-Niveau minimieren. Eine Nachuntersuchung der Datenschutzberatungsfirma Privacy Company bestätigt diese Anpassungen, weist aber auf weitere Lücken bei Office Online und den mobilen Office-Apps hin (www.privacycompany.de). So senden die drei iOS-Apps Word, Excel und PowerPoint beispielsweise Nutzungsdaten an die US-amerikanische Marketingfirma Braze, die damit Nutzerprofile erstellt und für Werbezwecke aufbereitet. Privacy Company rät Schulen, eine möglichst geringe Datenerfassung unter Windows 10 zuzulassen. Diese Einstellung kann man in der Systemadministration vornehmen.
Von diesen Vorkommnissen war und ist auch der Rahmenvertrag zwischen Microsoft und educa.ch betroffen. Es geht um Daten von Schulen, die Office 365 einsetzen. "Wir haben uns nach Bekanntwerden dieser Lücke an Microsoft gewendet und Antworten verlangt", sagt Simon Graber. "Mit dem Update im Frühling hat Microsoft nachgebessert. Da der jetzige Rahmenvertrag im Sommer 2020 ausläuft, befinden wir uns aktuell in Verhandlungen über den künftigen Vertrag. Dabei ist der Datenschutz ein Kernthema." Rechtliche Unterstützung erhält educa.ch in diesen Fragen von privatim, der Konferenz der schweizerischen Datenschutzbeauftragten. privatim arbeitet die Entwicklungen rund um Office 365 derzeit auf und wird gegen Jahresende dazu Stellung nehmen.